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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger
Autoren: Elmar Bereuter
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herhalten: Brunnenvergifter waren sie, Kindermörder, Leichenschänder, Sodomiten, Wucherer, Blutsauger. Seit Jahrtausenden schon Volksverderber. Schleimig, hinterhältig, stinkend und widerlich.
    Rom steckte durch den Brand in einer sozialen Krise. Die Verfolgungswellen des Hexenwahns schwappten ebenfalls in Zeiten sozialer Krisen über das Land. Nun steckte Deutschland in einer sozialen Krise, für die es einen Schuldigen geben musste, und der war nicht schwer auszumachen: der Jude! Und zu Hause in Amerika? War nicht auch dort der schlafende Drache des Ku-Klux-Klan erwacht und erhob wieder sein feuriges Haupt? Die während des Krieges in Frankreich eingesetzten »Negertruppen« hätten Gefallen an den weißen Frauen gefunden und es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis mit Belästigungen und Vergewaltigungen zu rechnen sei. In den Fabriken nähmen sie mit ihren Billiglöhnen den Weißen die Arbeitsplätze weg, forderten sogar das Wahlrecht ein, während beispielsweise in Florida Zehntausende Kleinbauern, deren Existenzbedingungen sich seit über dreißig Jahren keinen Deut verbessert hätten, vor dem Ruin stünden!
    Das war es, was es zuerst brauchte: eine soziale Krise. Dann jemanden, der schuld war an dieser Krise; aber es musste jemand sein, der dafür zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Wer aber bestimmte diesen Sündenbock? Das konnte entweder von unten aus dem einfachen Volk kommen oder genauso gut von oben, von der Regierung, einer Partei, einem Demagogen, der den Sündenbock klar und deutlich benannte und versprach, das Übel von der Wurzel her auszurotten. Wer damit anfing, war gleichgültig. Wichtig war die
    Übereinstimmung, der gemeinsame Wille. Wichtig war, dass die Bevölkerung und die Obrigkeit sich einig waren, dass gegen die zweifelsfrei als Schuldige erkannten
    Volksschädlinge vorgegangen werden musste, und zwar mit aller Härte!
    Lois Oliphant langte nach ihrer Tasche, holte ihr Notizheft und ihren Füllfederhalter hervor.
    »1. soziale Krise
    2. Sündenbock
    3. Verfolgungsbereitschaft von unten
    4. Verfolgungsbereitschaft von oben«
    Etwas fehlte noch. Das Volk als Masse konnte nur
    einverstanden sein, die Obrigkeit nur die Rahmenbedingungen schaffen. Schließlich gab es ja noch Gesetze, die Übergriffe verhindern sollten, und eine Justiz, die dafür zuständig war.
    Aber wenn Volk und Regierung dafür waren, wieso sollten sich da die für den Vollzug zuständigen Beamten und Gremien dem gemeinsamen Willen verschließen? Genau, das war es!
    Das war der Schlüssel zum Schleusentor!
    Sie öffnete wieder die Kappe ihres Füllers und schrieb:
    »5. willfährige Justiz«
    Das war zwar vielleicht alles etwas grob gestrickt, trotzdem, das waren die grundsätzlichen Bedingungen! So hatte es schon bei Nero funktioniert, nicht anders war es bei der spanischen Inquisition gegen die Mauren und die Juden gewesen und deswegen hatten die Hexen und Zauberer auf die
    Scheiterhaufen gemusst. Auch hier in Rheinbach hatte es so im Kleinen angefangen – geendet hatte es in den Fängen einer außer Rand und Band geratenen Justiz!
    »Angst!«, dachte sie. »Du musst den Menschen Angst einjagen! Überall lauern übermächtige Feinde, bedrohen nicht nur das Land, jeder Einzelne ist in Gefahr! Das musst du ihnen eintrichtern, wieder und wieder! Kein Einziger von ihnen ist zwar wahrscheinlich jemals bedroht oder ausgeraubt worden, ist jemals eines wirklichen Bösewichts auch nur von weitem ansichtig geworden. Aber sie sind da, die Feinde, sagst du, man hört sie nur nicht, man riecht sie nicht, man sieht sie nicht! Eben das ist ja das Gefährliche, sie verstecken und sie tarnen sich! Mitten unter uns! Ihr wollt keine Angst mehr haben, ihr wollt endlich in Freiheit leben?, fragst du sie. Dann wählt mich!, rufst du ihnen zu. Mich, Georg, den
    Drachentöter! Ich bekämpfe das Übel, ich rotte es aus, vernichte die Feinde! Ich bin furchtlos! Doch allein kann ich es nicht, ich brauche eure Unterstützung, eure Hilfe! Seid vorsichtig, seid wachsam, haltet Augen und Ohren offen! Sie werden sich gegenseitig beobachten, sich bespitzeln, werden Bürgerwehren bilden und sich denunzieren. Und sie werden dich wählen! Dich, den Starken! Den unerschrockenen Retter!
    Aber du wirst sie nicht retten, du bist ja nicht dumm, willst deine Macht schließlich behalten! Den Teufel wirst du also tun! Von neuen, drohenden Gefahren wirst du ihnen stattdessen erzählen. Aber keine Bange, du, nur du kannst und wirst damit fertig werden! Dazu
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