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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong
Autoren: John Burdett
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Polizeirevier auf Lantau Island über das Hauptquartier der Royal Hong Kong Police Force in der Arsenal Street auf Hong Kong Island zu Chan in Mongkok, einem Viertel auf Kowloon, weitergeleitet worden. Sie bedeutete den ersten wirklichen Fortschritt bei den Ermittlungen in einem dreifachen Mordfall, in denen Chan schon seit einer Woche nicht vorankam. Chan fiel es schwer, seine Frustration zu verbergen, und die Art und Weise, wie die Opfer umgekommen waren, vermochte seine Laune nicht zu verbessern. »Greueltat« pflegten englische Journalisten so etwas zu nennen.
    Vom Boot aus hatten sie den Sack vier- oder fünfmal in Richtung Westen driften sehen, doch jedesmal war er wieder verschwunden, und schließlich hatte sich die Wolke auf sie herabgesenkt wie ein Vorhang.
    Fünf Minuten später fragte Aston: »Also, Chief? Sollen wir zurückfahren?«
    Chan schnippte seine Zigarette ins Südchinesische Meer. »Ist wahrscheinlich das beste.« Sie konnten nichts ausrichten, wenn sie nichts sahen; lediglich die Schwerkraft zeigte ihnen, wo unten und oben war. Doch die Wolke schien sich aufzulösen, heller zu werden. Schwarz wurde zu Schiefergrau. »Noch fünf Minuten, ja? Wollen Sie einen Tee?«
    Sie standen nebeneinander am Bug des Bootes und tranken grünen chinesischen Tee aus zwei hohen Gläsern, die ihnen der Schiffsjunge gebracht hatte. Während sie tranken, löste sich die Dunkelheit vor ihnen auf und legte sich als schwere Wolkenbank hinter das Heck – nicht unbedingt ein gutes Omen. Der aufkommende Wind zerschnitt die Dunstschwaden, die um das Boot herumdrifteten, und ließ am Mast einen leichengrauen Himmel durchschimmern. Nur die Hitze blieb gleich. Aston lehnte sich mit seinem kurzärmeligen weißen Hemd mit den Schulterstücken, den Shorts und den Kniestrümpfen dankbar in den Gischt, der ihm jedesmal entgegenschlug, wenn der Bug in die Wellen schnitt. Chan war in Zivil und trug ebenfalls Shorts sowie einen Geldgurt, in dem er Brieftasche und Polizeiausweis aufbewahrte. Sein nackter Oberkörper war olivbraun. Ein kleiner blauer Schmetterling tanzte auf seinem Bizeps und verdeckte die ausgebleichten chinesischen Zeichen einer älteren Tätowierung, die jetzt nicht mehr zu entziffern waren. Er war barfuß, um besseren Halt auf dem Holzdeck zu finden.
    Ein Aufschrei der Crew. Aston hatte ihn zur gleichen Zeit wie alle anderen gesehen – grau und schon fast völlig unter Wasser, ungefähr zweihundert Meter westlich. Er tauchte im Rhythmus der Wellen auf und unter: ein mit einem grünen Seil zusammengebundener Sack.
    Auf der Kommandobrücke wechselten Geldscheine den Besitzer; diejenigen, die gewettet hatten, daß man den Sack wiederfinden würde, wurden von denen, die dagegen gehalten hatten, ausbezahlt.
    Vom Bug aus kommandierte Chan: »Fahren Sie langsam weiter. Holt die Netze raus, ohne Haken. Paßt auf, daß das Beweisstück nicht beschädigt wird. Und hört auf mit der Wetterei.«
    Etwa zehn Minuten später erschien es Aston, als triebe der Sack in einer Welt ohne Koordinaten auf das Boot zu, nicht umgekehrt. Er sah zu, wie drei chinesische Polizisten sich über Bord beugten und ihn ohne weitere Mühe mit einem großen grünen Nylonnetz an einer langen Bambusstange einholten. Kantonesische Flüche schwirrten durch die drückende Luft, als die ersten sahen, was sich in dem Sack befand. Als sie ihn heraufzogen, konnte auch Aston den Inhalt erkennen und übergab sich geräuschvoll über die Bordkante.
    Nachdem Aston alles hochgekommen war, was er gegessen hatte, blickte er wieder ungläubig zu dem Sack hinüber, der jetzt keine zwei Meter von ihm entfernt mitten auf dem Vorderdeck lag. Drei durchweichte, abgeschnittene Köpfe mit offenstehenden Mündern und Augen starrten durch das durchsichtige Plastik wie die verzerrten Gesichter von Kindern, die die Nasen an einem Schaufenster plattdrücken. Ekel, aber auch Neugier, ließ ihn zwei Schritte näherkommen. Nach der Augenform zu urteilen, hatte ein Kopf einem Nichtchinesen gehört, die beiden anderen waren Chinesen gewesen. Doch die Münder standen nicht offen; er hatte sich durch das Wasser täuschen lassen, das sich zwischen den grauen Falten des Plastiksacks gestaut hatte. Die Gesichter hatten keine Lippen und keine Nasen. Die Augen glotzten starr, weil die Lider abgeschnitten waren. Ebenso wie die Ohren.
    Die chinesischen Polizisten, die sie aus dem Meer geholt hatten, wichen ans andere Ende des Decks zurück. Sie trugen marineblaue Shorts, rauchten und
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