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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong
Autoren: John Burdett
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eines Tages ein riesiges Raumschiff vorbeigekommen und habe Zehntausende unterschiedlicher Gebäude hier abgeladen. Vom Meer aus war es schwer zu begreifen, wie der Verkehr, ja, auch die Menschen, es schafften, sich dazwischen hindurchzuzwängen.
    Genau diese körperliche und geistige Intensität machte den Ort so faszinierend, das wußte Aston. Man hatte keine Zeit stillzustehen und keinen Platz, an dem man stillstehen hätte können. Wochen, dann Monate und schließlich Jahre waren zehnmal schneller verflogen, als er es gewöhnt war. Seit seiner Ankunft war er wie trunken vor Erregung; ihm gefiel das Gefühl, sich selbst immer ein wenig hinterherzuhinken. Aber es stimmte, was ihm die Leute gleich am Anfang gesagt hatten: Je länger man im Fernen Osten war, desto weniger verstand man. Heute zum Beispiel. Ein Polizeibeamter, den er nie als mutig eingeschätzt hätte, hatte hartnäckig und geschickt Beweisstücke in einer Ermittlung gesichert, die seiner Meinung nach aus politischen Gründen abgebrochen werden würde. Möglicherweise hatte er sein eigenes Leben und das von Aston aufs Spiel gesetzt. Es ergab keinen Sinn.
    Während der Fahrt durch den Hafen fing es wieder zu regnen an; klebrig-feuchte Schwärze breitete sich aus, die riesige Tanker verschluckte und das Boot erneut vom Land abschnitt. Er hatte seiner Mutter geschrieben, sie könne sich gar nicht vorstellen, was hier alles vom Himmel fiele. Und es war warm. Was auf der Welt konnte exotischer, wunderbarer, rätselhafter sein als der warme, übelriechende Regen in dieser tropischen Stadt?
    Es war schon merkwürdig, wie der Osten einen veränderte. Es gab mehr Leben und mehr Tod, und man fühlte sich doppelt lebendig deswegen. Nach kürzester Zeit war er bis auf die Knochen durchnäßt. Er hielt sich am Sicherheitsseil fest, als er sich über das überschwemmte Deck zum Ruderhaus zurückkämpfte. Dabei bemerkte er Chans Blick und grinste. Gott, vergib mir meine Liebe zu diesen Stürmen in Hongkong, die voll Geld, Sex und Leichen stecken. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, auch nach dem Juni zu bleiben, würde er sie finden.

DREI
    Am Queen’s Pier duschte Chan und zog sich in einer Kabine um, dann wies er Aston an, zusammen mit den Köpfen auf dem Schiff zu bleiben, bis er einen Wagen aufgetrieben hätte, der sie abholte. Der Kapitän ließ ihn an den Betonstufen des Pier vom Schiff und fuhr dann rückwärts wieder hinaus in den Hafen, um dem Gewimmel der kleinen Boote zu entgehen. Es war Rush-hour und es regnete; Straßen und Gehsteige quollen über von Menschen, die vor einer Katastrophe zu flüchten schienen. Über den hohen Bürohäusern leuchtete grell ein letzter Rest Licht durch die holzkohlefarbenen Wolken. In einer halben Stunde wäre es Nacht.
    Am Star Ferry Terminal gleich neben dem Queen’s Pier ließ ein Sergeant in einer kleinen Polizeistation Chan einen Wagen herbeitelefonieren, der am Pier die Köpfe von Aston entgegennehmen und zum Leichenschauhaus bringen sollte.
    »Köpfe?« Der Sergeant hatte normalerweise mit Taschendiebstählen und verlorenen Kreditkarten zu tun. Er starrte Chan an, bat ihn mit stummem Blick um weitere Einzelheiten. Nachdem Chan aufgelegt hatte, deutete er mit einer Geste eine Enthauptung an.
    »Dann haben sie die Lippen, Ohren und Augenlider abgeschnitten.«
    Dem Sergeant blieb der Mund offen stehen. »Verdammte Scheiße.«
    Chan nickte. Jetzt hatte der Mann was zu erzählen.
    Normalerweise hätte Chan seinem unmittelbaren Vorgesetzten in Mongkok Bericht erstattet, dem Assistant District Commander. Vor kurzem jedoch hatte das Präsidium die Anweisung ausgegeben, daß Polizisten, die heikle Fälle bearbeiteten, wichtige Entwicklungen einem besonderen Beamten in der Arsenal Street mitteilen mußten. Nach dem großen Interesse der Medien an der Brutalität dieses Mordes (sowohl CNN als auch BBC hatten Chans Kommentar »Ich kann im Augenblick nichts dazu sagen« ausgestrahlt) und nach der Entdeckung, daß Chans Telefon abgehört und einige seiner Akten kopiert worden waren, hatte er Anweisung erhalten, die Befehlsinstanz Mongkok zu übergehen und direkt an Riley zu berichten. Er beschloß, zu Fuß zu dem Gebäudekomplex zu gehen, der das Präsidium der Royal Hong Kong Police beherbergte.
    Edinburgh Place, City Hall, Murray Road, Queensway – alles britische Namen, deren Verfallsdatum sich rasch näherte. Queensway Plaza war ein vollklimatisiertes orientalisches Einkaufszentrum, in dem es von chinesischen Schneidern,
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