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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong
Autoren: John Burdett
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Handbuchs, so gut er konnte, fotografierte den Kopf im Profil und von vorn, machte Nahaufnahmen von den Schlitzen, wo sich früher Nase, Ohren und Mund befunden hatten. Der Gestank ließ ihn würgen. Die blonden Haare des Nichtasiaten waren länger als die der anderen Köpfe. Wuchsen Haare eigentlich weiter, wenn der Kopf vom Rumpf getrennt worden war? Wahrscheinlich. Aston hatte keine Lust, über diese Frage nachzudenken.
    Schon nach wenigen Minuten waren sie da: klein, schwarz, und sie surrten direkt auf die Augen zu. Sogar auf See gab es Fliegen; zuerst kamen sie einzeln und in Paaren, dann zu mehreren. Sie liebten die Köpfe von Säugetieren. Aus seinen Gerichtsmedizinkursen wußte Aston, daß sie ihre Larven in Augen, Mund und Nase ablegten. Aston war besonders wütend darüber, daß sie sich über den blonden Kopf hermachten, aber nicht wegen seiner Rassenzugehörigkeit. Je länger er ihn fotografierte, desto stärker wurde sein Verdacht, daß er einer Frau gehörte. Er wedelte den immer größer werdenden Fliegenschwarm weg, der um seine Hand herumschwirrte. Dann gab er den Kampf auf und arbeitete schneller, um fertig zu werden, solange das Eis noch dampfte. Als er beim letzten Kopf angelangt war, war er von einer schwarzen Wolke eingehüllt.
     
    Aston ging unter Deck, um sich umzuziehen, dann kehrte er zurück zu Chan, der auf der Kommandobrücke rauchte und sich mit dem Kapitän unterhielt. Er blieb ein paar Schritte entfernt stehen und versuchte, ihrem Gespräch zu folgen. Aston hatte die üblichen sechs Monate darauf verwendet, den örtlichen Dialekt zu lernen, und war nun in der Lage »Wie lautet Ihr ehrenwerter Name? Ich werde Sie jetzt verhaften« und viele andere nützliche Sätze zu sagen, doch Chan fluchte hauptsächlich und liebte Wortspiele. Chan warf ihm von Zeit zu Zeit einen Blick zu, gab sich aber keine Mühe, langsamer zu sprechen oder ihn ins Gespräch miteinzubeziehen.
    Die chinesischen Polizisten hielten Abstand zu Aston, dem Mann, der die Toten berührt hatte. Er hörte, wie sie immer wieder ein Wort sagten, das klang wie die Zahl »Vier« und » say «ausgesprochen wurde, fast wie das Wort für »Tod«, weswegen Vier eine Unglückszahl war. Der Block, in dem Aston wohnte, war das vierundvierzigste Gebäude der Straße, doch es hatte die Hausnummer sechsundvierzig; nur wenige Chinesen waren bereit, in einem Gebäude zu wohnen, das zweimal das Wort »Tod« im Namen trug.
    Aston wandte den Blick nicht vom Chief Inspector. Dieser Chan Siu-kai, dem seine britischen Kollegen den Spitznamen »Charlie« gegeben hatten, war alles andere als unergründlich. Unter Streß zuckte es unter seinem linken Auge, und auf seinem schmalen Gesicht war jede Gemütsregung abzulesen. Es hieß, er sei das Ergebnis einer Liaison zwischen einem umherziehenden Iren und einer jungen Kantonesin und habe aus dieser Verbindung gegensätzlicher Gene profitiert. Im Kasino erzählte man hinter vorgehaltener Hand, er schneide sich oft beim Rasieren, weil er die ausgeprägt westlichen Züge seines Gesichts nicht im Spiegel betrachten wolle, obwohl er gut aussah. Aston konnte bezeugen, daß Chans Haut oft die Spuren solcher Mißgeschicke aufwies.
    Der Chief Inspector war ein attraktiver Mann, aber Aston vermutete, daß er sich selbst nicht besonders leiden konnte. Aston, der seit mittlerweile fast drei Jahren Polizist war, begann sich zu fragen, ob irgend jemand über Dreißig das überhaupt tat. Noch faszinierender fand der junge Engländer, der selbst kein Problem mit Spiegeln hatte, die krasse Selbstverachtung des Eurasiers, die bisweilen die heißesten Frauen anlockte. Chan jedoch war geschieden und schenkte ihnen keine Beachtung.
    Schließlich hörte Chan auf, mit dem Kapitän zu reden. Aston versuchte, den Motorenlärm zu übertönen.
    »Ich würde sagen, die Köpfe passen zu den anderen Teilen.«
    »Tja, und wenn nicht, haben wir sechs Morde statt drei.«
    »Die DNA wird uns Gewißheit geben. Wir haben genug zu tun, auch wenn wir noch keine Finger haben, von denen wir Abdrücke nehmen könnten. Ich wende mich gleich morgen früh an die Gerichtsmedizin, um ein odontologisches Profil zu bekommen. In den Vermißtenlisten gibt’s hin und wieder tatsächlich zahnmedizinische Aufzeichnungen.«
    »Okay.« Chans Auge zuckte, doch sein restlicher Körper verriet keinen Enthusiasmus.
    »Zumindest haben wir gute Chancen herauszufinden, wer die armen Teufel wirklich waren.«
    Chan sah den Kapitän an. »Ja.«
    »Und wenn die
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