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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong
Autoren: John Burdett
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Küstenwache straffte die Schultern. »Nein, der große Vorsitzende Mao.«
    »Wer ist denn das?«
    »Ich warne Sie, Erstgeborener.«
    Chan hob eine Hand. »Nicht schießen, ich hab’ schwache Nerven. Hören Sie, es ist Zeit für den Tee in Hongkong. Lassen Sie uns alle heimfahren.«
    »Geben Sie uns den Sack, Erstgeborener.«
    »Wir könnten uns bei einem Bier drüber unterhalten.«
    »Da gibt’s nichts zu reden. Sie haben etwas aus chinesischen Gewässern geholt. Es gehört uns.«
    »Tausend Dollar«, sagte Chan.
    »Nein.«
    »Und zwei Kisten Carlsberg.«
    »Was ist in dem Sack?«
    »Nichts, was Sie interessieren könnte.«
    »Wir haben Befehle.«
    »Sagen Sie einfach nichts davon, daß Sie uns gesehen haben. Der Taifun kommt immer näher. Wir müssen zurück. Und Sie auch.«
    Der Beamte der Küstenwache strich mit der Hand über den Schaft der Waffe und sah dann zum Himmel hinauf.
    »Was ist in dem Beutel um Ihren Bauch?«
    »Geld.«
    »Wieviel?«
    »Tausend Dollar.«
    »Ich glaube, Sie haben mindestens zweihunderttausend Dollar da drin. Die halten Ihre Eier schön schnuckelig warm.«
    Die Mannschaft auf dem kommunistischen Boot kicherte.
    Chans Anspannung ließ nach. »Okay.«
    »Und das ganze Bier, das Sie an Bord haben.«
    »Okay.«
    »Und jetzt sagen Sie uns, was in dem Sack ist.«
    »Drei menschliche Köpfe.«
    Wieder brachen die Leute von der Küstenwache in schallendes Gelächter aus.
    »Sie sind wirklich komisch, Erstgeborener. Wie wollen Sie das Geld und das Bier hier rübertransportieren?«
    Chan deutete auf das Heck. »Ich schicke einen Tender rüber.«
    Er befahl, das Gummiboot zu Wasser zu lassen. Die Crew beeilte sich, ohne daß er etwas sagen mußte. Zwei Polizisten reichten der Mannschaft im Tender ein paar Zwölferpackungen Carlsberg. Chan holte alle Scheine aus seinem Geldgurt und borgte sich weitere von Aston. Der Wind hatte begonnen, jammernd ums Boot zu streichen.
    »Hat er gesagt ›Vor zehn Jahren hätten wir Sie noch getötet‹?« fragte Aston leise.
    »Er hat nur den starken Mann markiert. Das stimmt nicht.«
    »Gut.« Aston wartete, während Chan zusah, wie der Tender bei dem rotchinesischen Boot anlangte, die schwarzen Augen starr. Er entspannte sich, als er sah, daß das Bier entladen wurde und das Gummiboot wieder zurückkam.
    »Vor fünfundzwanzig Jahren hätten sie uns tatsächlich noch umgebracht.« Chan sah Aston an. »Während der Kulturrevolution wär’s keine gute Idee gewesen, als Hongkonger Polizist in chinesische Gewässer einzudringen.«

ZWEI
    Chan und Aston trugen den Sack zu einem Kasten unter dem Sonnensegel mittschiffs, ließen ihn hineinfallen und packten Trockeneis darüber. Weißer Dampf stieg über dem Sack auf, in dem die Köpfe, die Augen nach außen gerichtet, ruhten, als hüteten sie ein Geheimnis.
    »Eigentlich sollte ich Fotos davon machen«, sagte Chan und rieb sich die Hände, die kalt vom Eis waren. »Aber sogar gekühlt verrotten die Köpfe. Wahrscheinlich kann das warten.«
    »Ich mach’s schon«, sagte Aston.
    »Wirklich? Das ist ein Scheißjob.«
    »Das weiß ich. Es war auch ein Scheißjob, sich gegen die Leute von der Küstenwache zu wehren, und Sie haben’s trotzdem gemacht.« Aston schluckte. »Ich hätte dazu nicht den Mumm gehabt. Nach allem, was wir bisher erlebt haben, sollten wir kein Risiko eingehen mit den Beweisstücken. Es könnte eine Weile dauern, bis wir wieder in Mongkok sind. Und bei dieser Hitze …«
    Chan nickte.
    »Beantworten Sie mir bloß eine Frage: Es war doch kein Zufall, daß die aufgetaucht sind, oder?«
    »Nein.« Chan sah aus, als wolle er mehr sagen, doch dann wandte er sich ab und ließ Aston mit den Köpfen allein.
     
    Der Trick, redete Aston sich ein, bestand darin, sie als Objekte zu betrachten, ihren Schmerz nicht zu hören, sich vor allen Dingen nicht mit dem Elend jener lippenlosen, grinsenden Münder zu identifizieren. Aston entfernte sich so weit von dem Sack, daß er ihn gerade noch öffnen konnte, und holte den ersten Kopf an den Haaren heraus. Er schwang im Rhythmus der Wellen hin und her.
    Er war aufgedunsen vom warmen Wasser und hatte die Farben der See angenommen: Purpur, Malve, Graugrün – wie Seeschnecken. Aston setzte den Kopf des Nichtasiaten auf dem Tisch ab und versuchte, ihn so auszurichten, wie das Polizeihandbuch es vorschrieb. Um ihn am Wegrollen zu hindern, nahm er sich einen Rettungsgürtel und versah den Kopf mit einer leuchtend orangefarbenen Halskrause. Er folgte den Anweisungen des
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