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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Wanne.
    Warum hatte die Frau damals ihr Schaumbad nicht mitgenommen? Irgendeiner auf Station hatte etwas gesagt von: früher mal eine darin gewohnt … hat in den Sack gehauen. Und: Hier hält es ja keiner lange aus. Wer ging, dem weinte man auch nicht nach. Es kam schon jemand Neues. Der dann auch wieder ging, eines Tages. So war Lotta gekommen. Und so wollte sie wieder gehen. Das sagte sie sich gleich: Das hier ist nur ein Übergang, bis ich wieder Fuß gefasst habe. Vielleicht in einem Jahr oder in einem halben, keinesfalls bleibe ich länger als ein Jahr.
    Lotta war zufrieden. Warf die Kleider auf die Stühle, ging nackt ins Bad und sah sich vorher noch mal um. Ein schönes Zimmer. Ein schönes Zimmer mit fünf Ecken und einem großen runden Fenster mit dem Blick auf die Dächer von Paris.
    Ein wunderschönes Zimmer.
    Nur – es war in einem Altersheim. Aber irgendwas war ja schließlich immer.

Italien war ein schönes Ziel gewesen  . Die lichtvolle Insel Sizilien, der rauchende Ätna und davor Fredderik, der ihm die Zunge zeigte. Und wie er ihm die Zunge zeigte! Das war sein liebstes Bild, Fredderik mit der rausgestreckten Zunge. Daran hatte er wunderbare Erinnerungen.
    Ivy betrachtete die Fotos genauso, wie es seine alten Damen taten, die immer wieder die Schwarzweiß-Bilder herausholten und sie anschauten, stundenlang. Er sah die Fotos an, wie alte Erinnerungen. Wieso Erinnerungen? Er musste dafür sorgen, dass er morgen eine neue Erinnerung hatte. Wo war die Telefonnummer? Ivy konnte sie auswendig. 0179/5734812. Rückwärts konnte er sie, vorwärts konnte er sie, die Nummer war ein Gebet. Sein Gebet um einen nackten Rücken und ein emporgerecktes Kinn und um Schweiß in den Kuhlen der Schlüsselbeine, der Fredderik, der Fredderik, der sollte ihn küssen und ihm das liebeslüsterne Fell über die Ohren ziehen, seine Privathure, sein Hurenbock, sein Man-Eater.
    Ach Fredderik, ruf mich ein einziges Mal an. Ein einziges Mal du. Mich. Unruhig stapfte Ivy in seiner Dachwohnung umher, streifte die weißen Wände entlang, rieb sich an der Raufaser, tippte der beleuchteten Muttergottes auf den Kopf. Fredderik, Fredderik, wer konnte da helfen? Wer konnte losgehen und ihn für Ivy suchen?
    Er wollte ihn verwünschen und verfluchen, weil er ihn so brauchte, den Elenden, wo trieb er sich nur herum? Im Brother Louie, natürlich, im Brother Louie und auf der Straße und bei Freunden, welchen Freunden? Hungrig war Ivy, hungrig nach seinem schönen Freund, dem mit den sanften Kuppen unter dem leichten Hohlkreuz, wie ein Eisläufer, der stramme Hintern eines Läufers, so war sein Fredderik, von der Brust ganz zu schweigen. Flaum. Ivy lief alles Wasser zusammen, und Wasser wurde zu Wein und Wein wurde zu Meeresschaum und der Meeresschaum wollte sich ergießen, wieder und wieder, wo war Fredderik?
    Ivy fluchte und griff nach der Jacke. Er musste ihn finden. Zufällig finden, so zufällig, als hätte er ihn nie gesucht! Wäre nie, nie auf die Idee gekommen, ihn zu suchen, hätte nie an ihn gedacht, nie, und das war das Einzige, das half, das wusste schließlich jeder.

Geh doch mal nach oben   und sieh nach, ob wir irgendwas für Herrn Schiwrin haben, sagte Schwester Rosalinde. – Er hat ja nur noch diesen blöden, glänzenden Turnanzug aus Plastik. Dass der aber auch keinen hat, der ihm mal ein paar Klamotten von daheim holt.
    Gianna erbleichte.
    Bin ich erste gestern in die Kleiderkammer gewese, fir de Wickert, de alte Esel. Kann eine andere gehe.
    Wer denn? Gianna, die sind doch alle unterwegs, bist doch nur du da und Schiwrin hat sich schmutzig gemacht, ich bin das leid. Guck mal, guck mal nach allem, Unterhemden, Socken, der braucht einfach alles. Bitte die kleinste Größe, er ist … nicht so ein Goliath.
    Gianna rang mit sich. Sie wollte nicht mehr in die Kleiderkammer. Sie konnte warten, bis Ivy wiederkam oder Nadjeschda. Aber Nadjeschda war eine richtige Schwester, der konnte sie nichts sagen, und Ivy, wer weiß. Gianna wagte keine Widerrede, sie war nur eine kleine Fabrikarbeiterin, die im Akkord gearbeitet hatte und hier in Deutschland mühevoll den Pflegehelferinnenkursus besucht hatte. Wenn Rosalinde etwas sagte, dann musste sie es auch machen. Außerdem: der arme Schiwrin. Ihr Herz tat weh, wenn sie an ihn dachte. Also gut. Bereits auf der Treppe fing sie an zu beten.
    San Pietro, San Paolo, San Giacomo, San Filippo, Sant’ Ambrogio …
    Die Tür zur Kleiderkammer stand offen. Weit offen. – Kleine Größen,
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