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Die letzte Nacht der Unschuld

Die letzte Nacht der Unschuld

Titel: Die letzte Nacht der Unschuld
Autoren: India Grey
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einschüchternd. Und distanziert. Schrecklich distanziert. „Dann solltest du ihn nicht auch noch ermutigen.“
    „Ihn ermutigen? Wozu?“
    „Zu tun, was du tust. Zu glauben, es wäre eine großartige Idee, sein Leben zur Unterhaltung anderer aufs Spiel zu setzen.“
    Cristianos Augen glitzerten wie schwarze Diamanten. Intimität und Nähe, die sie vor wenigen Stunden miteinander geteilt hatten, verblassten im Tageslicht. „Das denkst du also über das, was ich tue?“
    „Das ist es, was du tust, Cristiano. Ich habe es gesehen, weißt du nicht mehr?“ Colleens Stimme klang jetzt fester, entschiedener, während sie sich mit der Routine des Kaffeezubereitens ablenkte. „Ich habe miterlebt, wie die Frauen sich um dich reißen, wie Reporter und Filmcrews um dich herumschwärmen, wie die Menge deinen Namen ruft. Und dann habe ich gesehen, wie dein Wagen frontal gegen die Barriere geprallt und in Flammen aufgegangen ist.“ Sie lachte bitter auf. „Es ist kein Kunststück, sich mit einem Auto umzubringen. Jeder Amateur schafft das. Amateure wie mein Bruder. Und mein Vater.“ Nach all den Jahren hatte der Albtraum ihrer Kindheit sie wieder eingeholt.
    An den Türrahmen gelehnt, sah Cristiano mit zusammengekniffenen Augen zu ihr hinüber. „Ich habe nie behauptet, dass es besonders clever wäre. Ich tue, was ich am besten kann, um …“
    „Um was, Cristiano? Um der Welt zu beweisen, dass du kein Versager bist? Niemand außer dir denkt das, ist dir das nicht klar? Deine Schulzeit mag schwierig gewesen sein, aber jetzt bist du für jeden ein Gott. Und für Alexander noch mehr.“
    Es war, als hätte sie ihn geohrfeigt. Abrupt richtete er sich auf, ballte die Fäuste an den Seiten. „Was hast du gesagt?“
    Sie hob ihr Kinn. „Ich sagte, dein Sohn braucht dich.“
    „Vorher.“ Seine Lippen bewegten sich kaum. „Über die Schulzeit. Woher weißt du das?“
    „Weil du es mir erzählt hast. In jener ersten Nacht hast du mir alles erzählt. Von deinen Schwierigkeiten in der Schule, von den Opfern, die deine Mutter für deine Ausbildung gebracht hat. Wie enttäuscht sie war, weil du nicht brillant warst. Du hast angefangen, den Unterricht zu schwänzen, und bist mit den falschen Leuten herumgezogen. Du hast mir davon erzählt, wie Silvio dich gerettet hat, obwohl du sein Auto stehlen wolltest. Statt dich anzuzeigen, hat er dir eine Lehrstelle in seinem Rennstall angeboten. Und du hast mir erzählt, wie verärgert deine Mutter deshalb war …“
    „Genug!“
    Das einzelne Wort klang wie ein Peitschenschlag. Gestern hatte Colleen wirklich an die Möglichkeit geglaubt … sie drei zusammen. Gestern hatte es sich so richtig angefühlt. Doch jetzt war ihr klar, dass sie sich nur etwas vorgemacht hatte. Es konnte kein glückliches Ende nehmen. Sie hatte sich in einen Mann verliebt, der für all das stand, wovor sie maßlose Angst hatte. „Ich weiß, was deine Mutter gefühlt hat, Cristiano. Sie hat dich geliebt. Alles, was sie wollte, war, dich in Sicherheit zu wissen.“
    „Nein“, spie er aus. Seine Augen glühten vor Wut. „Du irrst dich. Sie hat mich nicht geliebt. Sie hasste mich. Ich habe ihr Leben zerstört, und letztendlich habe ich sie umgebracht.“
    Drückendes Schweigen herrschte plötzlich in der Küche. Cristiano fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Siehst du, ich habe dir doch nicht alles erzählt.“
    „Das ist nicht wahr“, flüsterte Colleen erstickt.
    „Doch, ist es. Sie hatte Krebs, doch sie hat es mir nicht gesagt. Vielleicht hat sie es versucht, aber ich war ja nie da. Sie ging nicht zum Arzt, weil sie das wenige Geld, das sie hatte, für meine Schule bezahlen musste. Wahrscheinlich befürchtete sie, ich würde endgültig auf die schiefe Bahn abdriften, sollte sie im Krankenhaus liegen.“
    „Aber das beweist doch, wie sehr sie dich geliebt hat“, setzte Colleen sich für eine Frau ein, die sie nie kennengelernt hatte.
    „Sie wollte, dass ich mich verbessere.“ Ironie troff aus jeder Silbe. Cristiano setzte sich an den Küchentisch und stützte den Kopf in die Hände. „Dass ich mich aus dem Sumpf ziehe, in dem mein Vater sie zurückgelassen hatte. Für sie hieß das, ich musste eine gute Ausbildung erhalten und Arzt oder Rechtsanwalt werden. Als ich die Lehrstelle bei Campano anfing, war es für sie, als hätte ich mich für lebenslanges Schuften entschieden. Ich hatte ihr alles, was sie für mich getan hat, ins Gesicht zurückgeschleudert.“
    Der Kaffee in den Tassen wurde kalt,
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