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Die letzte Generation

Die letzte Generation

Titel: Die letzte Generation
Autoren: Arthur C. Clarke
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ich eine Woge der Erregung über mich hinfluten. Es war nicht Freude oder Trauer, es war ein Gefühl der Erfüllung, der Vollendung. Habe ich es mir eingebildet? Oder kam es von außen? Ich weiß es nicht.
    Und jetzt … dies kann nicht alles Einbildung sein … die Welt erscheint leer. Völlig leer. Es ist, als lauschte man auf einen Radioapparat, der plötzlich tot ist. Und der Himmel ist wieder hell … das dunstige Gewebe ist verschwunden. Zu welcher Welt wird es nun gehen, Karellen? Und werden Sie auch dort sein, um ihm weiter zu dienen?
    Sonderbar: Alles um mich her ist unverändert. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hätte ich gedacht, daß …“
    Jan hielt inne. Einen Augenblick suchte er nach Worten, dann schloß er die Augen, um seine Selbstbeherrschung zurückzugewinnen. Jetzt war nicht Zeit für Furcht oder Panik: Er hatte eine Pflicht zu erfüllen, eine Pflicht gegen den Menschen und eine Pflicht gegen Karellen.
    Zuerst langsam, wie einer, der aus einem Traum erwacht, begann er zu sprechen: „Die Gebäude um mich her, der Boden, die Berge, alles ist wie Glas. Ich kann hindurchsehen. Die Erde löst sich auf. Mein Gewicht ist fast verschwunden. Sie hatten recht: ‚Jene’ haben aufgehört, mit ihrem Spielzeug nur zu spielen.
    Es ist nur wenige Sekunden später. Jetzt zergehen die Berge wie Rauchschwaden. Leben Sie wohl, Karellen, Raschaverak. Es tut mir leid um Sie. Obwohl ich es nicht begreifen kann, habe ich gesehen, was aus meiner Rasse geworden ist. Alles, was wir je geleistet haben, ist zu den Sternen emporgestiegen. Vielleicht ist es das, was die alten Religionen zu sagen versuchten. Aber sie sagten es alle falsch: Sie dachten, die Menschheit wäre so wichtig, und doch sind wir nur eine einzige Rasse von – wissen Sie, wie vielen? Jetzt aber sind wir etwas geworden, was Sie nie sein könnten.
    Jetzt verschwindet der Fluß. Aber keine Veränderung am Himmel.
    Ich kann kaum atmen. Sonderbar, daß der Mond dort oben noch immer scheint. Ich freue mich, daß sie ihn zurückgelassen haben, aber es wird jetzt einsam sein …
    Das Licht! Von unten her – aus dem Innern der Erde – leuchtet es herauf, durch die Felsen, durch den Boden, durch alles, und wird heller, heller, blendend hell …“
     
    In einer geräuschlosen Lichtflut gab der Kern der Erde seine aufgespeicherten Energien frei. Für eine kleine Weile kreuzten die Schwerkraftwellen das Sonnensystem und störten die Bahn der Planeten. Dann setzten die übrigbleibenden Kinder der Sonne ihre alten Wege fort, wie Korken, die auf einem friedlichen See schwimmen, den feinen Kreisen folgen, die durch einen hineinfallenden Stein in Bewegung gesetzt werden.
    Von der Erde blieb nichts übrig: Jene hatten die letzten Atome der Substanz aufgesaugt. Die Erde hatte sie in allen Augenblicken ihrer unfaßlichen Verwandlung genährt, wie die in einem Weizenkorn aufgespeicherte Nahrung die junge Pflanze nährt, während sie der Sonne zustrebt.
     
    Sechstausend Millionen Kilometer jenseits der Bahn des Pluto saß Karellen vor einem plötzlich verdunkelten Bildschirm. Der Bericht war vollständig, die Mission beendet. Er reiste heimwärts zu der Welt, die er vor so langer Zeit verlassen hatte. Die Last von Jahrhunderten lag auf ihm und eine Betrübnis, die keine Logik zu zerstreuen vermochte. Er trauerte nicht um den Menschen; seine Trauer galt seiner eigenen Rasse, die von der Größe für immer abgesperrt war durch Kräfte, die sie nicht zu überwinden vermochte.
    Trotz aller Leistungen, dachte Karellen, trotz aller Beherrschung des physikalischen Universums war sein Volk nicht besser als ein Stamm, der sein ganzes Dasein auf irgendeiner flachen und staubigen Ebene verbracht hatte. Weit entfernt waren die Berge, wo Kraft und Schönheit wohnten, wo der Donner über den Gletschern dröhnte und die Luft klar und frisch war. Dort war auch die Sonne und vergoldete die Gipfel, wenn alles Land unten in Dunkelheit gehüllt war. Und sie konnten nur beobachten und staunen; sie konnten niemals diese Höhen ersteigen.
    Und doch wußte Karellen, daß sie bis zum Ende standhalten würden. Sie würden ohne Verzweiflung ausharren, welches Schicksal auch immer ihrer wartete. Sie würden dem Übergeist dienen, weil sie keine Wahl hatten, aber selbst in diesem Dienst würden sie ihre Seelen nicht verlieren.
    Der große Bildschirm erglühte für einen Augenblick in einem dunkelroten Licht. Ganz in Gedanken las Karellen die Botschaft, die diese wechselnden Linien brachten.
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