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Die letzte Generation

Die letzte Generation

Titel: Die letzte Generation
Autoren: Arthur C. Clarke
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selbstmörderischem Sport gesucht, der oft von kleineren Kriegen nicht zu unterscheiden war. Da die Bevölkerung rasch abnahm, hatten sich die alternden Überlebenden zusammengefunden, eine geschlagene Armee, die ihre Reihen fester schloß, als sie ihren letzten Rückzug antrat.
    Dieser Schlußakt, ehe der Vorhang sich für immer senkte, mußte von aufflammendem Heldentum und Aufopferung erhellt und von Grausamkeit und Selbstsucht verdunkelt worden sein. Ob er in Verzweiflung oder Ergebung geendet hatte, würde Jan nie erfahren.
    Es gab viele Dinge, die seinen Sinn beschäftigten. Der Stützpunkt der Overlords befand sich etwa einen Kilometer von einer verlassenen Villa, und Jan brachte Monate damit zu, diese mit Gegenständen auszustatten, die er aus der etwa dreißig Kilometer entfernten nächsten Stadt holte. Er war mit Raschaverak, dessen Freundschaft er nicht für ganz selbstlos hielt, dorthin geflogen. Dieser Psychologe studierte noch immer das letzte Exemplar des Homo sapiens.
    Die Stadt mußte vor dem Ende geräumt worden sein, denn die Häuser und viele von den öffentlichen Einrichtungen waren noch in gutem Zustand. Es hätte wenig Mühe gemacht, die Generatoren wieder in Betrieb zu setzen, so daß die breiten Straßen noch einmal in der Illusion des Lebens geglüht hätten. Jan spielte mit diesem Gedanken, dann ließ er ihn als zu krankhaft fallen. Das einzige, was er nicht tun wollte, war, über die Vergangenheit zu brüten. Hier war alles, was er brauchte, um sich für den Rest seines Lebens zu erhalten, aber das größte Verlangen hatte er nach einem elektronischen Klavier und gewissen Bach-Übertragungen. Er hatte für Musik nie so viel Zeit gehabt, wie er gewünscht hätte, und jetzt wollte er sich dafür entschädigen. Wenn er nicht selbst spielte, ließ er Tonbänder von den großen Symphonien und Konzerten ablaufen, so daß die Villa nie still war. Musik war sein Talisman gegen die Einsamkeit geworden, die ihn eines Tages sicher überwältigen mußte.
    Oft pflegte er lange Wanderungen über die Hügel zu machen, wo er an alles dachte, was in den wenigen Monaten, seit er die Erde zuletzt gesehen hatte, geschehen war. Er hätte, als er sich von Sullivan vor achtzig irdischen Jahren verabschiedete, nie gedacht, daß bereits die letzte Generation der Menschheit geboren war.
    Was für ein junger Narr war er doch gewesen! Und dennoch war er sich nicht sicher, daß er seine Haltung bereute: Wäre er auf der Erde geblieben, so würde er die letzten Jahre miterlebt haben, über die jetzt die Zeit einen Schleier gezogen hatte. Statt dessen war er mit einem Hechtsprung an ihnen vorbei in die Zukunft hineingesprungen und hatte auf seine Fragen Antworten bekommen, die kein anderer Mensch je erfahren würde. Seine Wißbegier war fast befriedigt, doch bisweilen fragte er sich, warum die Overlords noch warteten, und was geschehen würde, wenn ihre Geduld endlich belohnt würde.
    Aber den größten Teil der Zeit saß er, in einer stillzufriedenen Ergebenheit, die für gewöhnlich einen Menschen erst am Ende eines langen und geschäftigen Lebens überkommt, vor den Tasten und erfüllte die Luft mit seinem geliebten Bach. Vielleicht täuschte er sich selbst, vielleicht war dies eine gnädige List seines Geistes, aber jetzt kam es Jan vor, als habe er sich immer das zu tun gewünscht. Sein geheimer Ehrgeiz hatte sich endlich an das volle Licht des Bewußtseins gewagt.
    Jan war immer ein guter Klavierspieler gewesen; jetzt war er der beste der Welt.
     
     
    9
     
    Raschaverak brachte Jan die Nachricht, doch Jan hatte sie bereits erwartet. In den frühen Morgenstunden hatte ein Alptraum ihn geweckt, und er hatte nicht wieder einschlafen können. Er vermochte sich nicht auf den Traum zu besinnen, was sehr seltsam war, denn er glaubte, daß alle Träume sich zurückrufen ließen, wenn man es nur unmittelbar nach dem Aufwachen energisch genug versuchte. Er konnte sich nur daran erinnern, daß er wieder ein kleiner Junge gewesen war und auf einer weiten, leeren Ebene einer mächtigen Stimme gelauscht hatte, die in einer unbekannten Sprache rief.
    Der Traum hatte ihn beunruhigt. Er fragte sich, ob es der erste Angriff der Einsamkeit auf seinen Geist sei. Ruhelos verließ er die Villa und ging zu dem vernachlässigten Rasenplatz.
    Der Vollmond übergoß die Landschaft mit einem so hellen goldenen Licht, daß er alles deutlich sehen konnte. Der riesige, glänzende Zylinder von Karellens Schiff lag hinter den Gebäuden, die
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