Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Autoren: Álvaro Mutis
Vom Netzwerk:
unser Interesse bestimmen und nähren, so lassen sich auch die verschiedenartigsten Orte, die uns die Erde als ideal anbietet, auf zwei oder drei reduzieren, und vermutlich sind diese noch zu viel. Nun, jedenfalls nahm ich mir fest vor, nicht wieder nach Jamaika zu gehen, und fand andere Mittel und Wege, die auffrischende, reiche Karibik zu genießen.
    Mehrere Monate nach meiner Fahrt durch Costa Rica und dem Ausflug in die Nicoya-Bucht bestieg ich in Panama ein Flugzeug nach Puerto Rico, wohin mich das Lehrerkollegium von Cayey eingeladen hatte, um über meine Dichtung zu sprechen. Wir starteten im Morgengrauen. Nach einer halben Flugstunde mussten wir nach Panama zurückkehren, »um eine kleine Panne im Belüftungssystem zu überprüfen«. In Wirklichkeit war eine Turbine ausgefallen, sodass der andern eine Leistung zugemutet wurde, die die arme, durchgeschüttelte 737 nicht sehr lange auszuhalten den Anschein machte. In Panama hielten wir uns zwei nicht enden wollende Stunden damit auf, den Mechanikern zuzuschauen, die wie Ameisen an der erwähnten Turbine Teile aus- und wieder einbauten. Durch den Lautsprecher wurde uns mitgeteilt, die kleine Panne sei schon ›in Ordnung gebracht‹ – weshalb, so frage ich mich immer, muss man der Sprache Gewalt antun, wenn man mit technischen Dingen Probleme hat? – und wir könnten an Bord gehen. Das Flugzeug startete ohne weitere Unannehmlichkeiten. Anderthalb Stunden später, als der Kapitän eben ankündigte, in wenigen Momenten würden wir Kuba überfliegen, wurden wir so durchgeschüttelt, dass sich unter den Passagieren ein blasses Schweigen breit machte, das nur von den etwas unzusammenhängenden Erklärungen der Stewardessen gestört wurde, welche durch den Gang eilten und ihre eigene Panik zu verbergen suchten. »Wegen einer technischen Störung in unserer linken Turbine sehen wir uns gezwungen, in Kingston, Jamaika, zu landen. Schnallen Sie bitte die Sicherheitsgurte fest und stellen Sie Ihre Sitzlehnen sowie die Tischchen senkrecht. Wir beginnen mit dem Anflug.« Es war die Stimme des Kapitäns, deren Ruhe nicht allen Fluggästen als gutes Omen erschien. Ich klappte das Buch zu, in dem ich gelesen hatte, und freute mich darauf, das Panorama der Bucht von Kingston zu genießen, die in meiner Erinnerung einer dieser typisch karibischen Winkel war. Tatsächlich, als die Maschine über dem Hafen zu kreisen begann, konnte ich wieder die dichte Vegetation bewundern, die sich an den Bergen rund um die Stadt in die Höhe zog. Sie war von intensivem Grün, streckenweise fast schwarz und dann wieder beinahe gelb getönt von den zarten Bambussprossen und den steif und zeremoniell aufragenden Farnen. Während sich zwei Maschinen auf dem Flughafen zum Start bereitmachten, mussten wir weiterkreisen und auf das Zeichen für die Landung warten. Die Motoren so weit wie möglich drosselnd, um sie nicht zu überfordern, ging der Kapitän in den Sinkflug und peilte dann die Piste an. Hingerissen bewunderte ich das Wasser der Bucht mit dem unsterblichen, in ihrer Mitte untergegangenen Kriegsschiff, dessen Nationalität ich nie hatte herausfinden können, so wenig wie den Grund, weshalb es Schiffbruch erlitten hatte. Immer wieder vergaß ich es, wenn ich festen Boden unter den Füßen spürte. Bei einer Schleife über den Molen erkannte ich, unverwechselbar, den Tramp Steamer. Dort lag er vor Anker, an die Mole gekauert wie ein Hund auf einer Türschwelle nach einer Nacht des Hungers und der Erschöpfung. Ich merkte, wie sehr ich mit dem Schiff schon vertraut sein musste, dass ich es von oben, ohne es auf Augenhöhe zu haben wie bei den vorigen Malen, so zweifelsfrei hatte identifizieren können. Ich hatte den Eindruck, es habe steuerbords ein wenig Schlagseite, und bei der nächsten Schleife sah ich, wie die Molenkrane Ware verfrachteten. In der Ladeluke war die Ladung wohl noch auf der einen Seite angehäuft, was möglicherweise die Neigung bewirkte.
    Wir würden die Nacht in Kingston verbringen müssen. Sämtliche Flüge nach Miami waren am Morgen abgegangen, sodass uns nichts anderes übrig blieb, als zu warten, bis die Turbine unserer 737 repariert wäre. Man brachte uns in einem Hotel im Stadtzentrum unter, das nicht besonders luxuriös, aber ruhig war und über eine Bar verfügte, welche von einem kleinen, weißhaarigen Schwarzen noch effizient bedient wurde, einem wahren Experten in ›planter’s punch‹, wie er bewies, diesem Cocktail, den aus Dosensaft, Rum, Eis und der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher