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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Autoren: Álvaro Mutis
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Empfang meines kundigen Führers auf dem Weg möglicher Drinks mit dem Rum der Inseln den schmerzlichen Eindruck erträglicher machte, dem Komplizen und Gefährten im düsteren Labyrinth meiner Träume den Respekt versagt zu haben: der Träume der Nacht und derjenigen, die im Lärm des Wachseins folgen. Ich ging schlafen, als die ersten Paare zurückkamen, ernüchtert von ihrem Erlebnis des nächtlichen Kingston. Unnütz, ihnen zu sagen, was der Hafen einmal gewesen war, in den Zeiten des Kalypso und des heißen Rums. Sie hätten es nicht begriffen, und ein solches Bemühen lohnte natürlich auch nicht. Dante sagt, es gibt keinen größeren Schmerz, als sich im Elend glücklicher Zeiten zu erinnern. Doch selbst das müssen wir heute in Einsamkeit tun, und das ist gut so.
    Nun bleibt mir noch meine letzte Begegnung mit dem Tramp Steamer zu erzählen. Ich hatte nicht den geringsten Hinweis, dass ich ihn zum letzten Mal sah. Hätte ich es gewusst, es wäre alles anders abgelaufen. Jetzt, da ich daran zurückdenke, muss ich sagen, dass mir eines klar war, nämlich, dass das Ganze, hätten sich die Begegnungen fortgesetzt, Anzeichen einer mythischen Verfolgung bekommen hätte, einer teuflischen Spirale, deren Ende dasselbe hätte sein können wie das derjenigen, die gegen die unabänderlichen Ratschlüsse von Hellas’ Göttern verstießen und dafür mit ihren zornigen Verwünschungen bestraft wurden. Das ist nicht mehr unsere Welt. Jetzt bringen wir Menschen nur noch das armselige bisschen Rache auf, die wir uns gegenseitig antun. Das ist unbedeutend. Unsere bescheidene Hölle zu Lebzeiten gibt keinen Stoff für höchste Poesie mehr her. Damit will ich sagen: Obwohl ich nicht die Gewissheit hatte, dass das unser letztes Treffen war, zeigte mir etwas an, dass das Spiel so nicht würde weitergehen können. Das passte nicht in den knapp bemessenen Bereich, auf den wir das Vorstellbare eingegrenzt haben.
    Vor zehn oder mehr Jahren war ich an der Orinoko-Mündung gewesen, und zwar während eines in Trinidad absolvierten Ausbildungskurses über den Einsatz von Propangas. Dabei lernte ich nicht nur sämtliche Gefahren des heimtückischen Brennstoffs kennen, sondern auch die Wunder der Antillenmusik, die auf Petroleumfässern aller Größen erzeugt wird. Eine ganze Nacht lang und noch bis weit in den Tag hinein konnte man sich von diesem Rhythmus hypnotisieren lassen, der uns in an- und abschwellenden Wogen in einen Halbschlaf versetzte, zu welchem die auf der Insel während eines großen Teils des Jahres herrschende Backofenhitze noch das Ihre beitrug. Auf einem Firmenschlepper fuhren wir an einem Wochenende hinaus, um das verzweigte Delta kennen zu lernen, wo der Orinoko sein Wasser in einen heimtückisch-sanften Atlantik voller unheilvoller Überraschungen ergießt. Ich erinnere mich noch an den ununterbrochenen Gesang der Vögel, deren mannigfaltige Farben und Größen uns den ganzen Tag nicht aus dem Staunen herauskommen ließen. Auch nachts nahmen das betäubende Geschrei und das dauernde Umherschwärmen mitten im undurchdringlichen Dunkel dieses glühenden Tropenstrichs kein Ende.
    Nun hatte ich dahin zurückkehren müssen, diesmal aber in gemeinsamer Mission der am reichen Orinoko-Flussgebiet interessierten Länder. Wir waren insgesamt sechs Beauftragte, und ich spielte, mit geringer Effizienz, den Vorsitzenden. In dieses bürokratische Abenteuer hatte ich nur eingewilligt, um wieder in das Delta zurückgehen zu können, an das ich mich noch immer staunend über dieses imposante Naturwunder erinnerte. Wir richteten uns in San José de Amacuro in den Bungalows eines Militärpostens ein. Dort standen uns sämtliche Annehmlichkeiten zur Verfügung, inklusive Airconditioning, das uns dieses Klima vom Leib halten sollte, welches mir persönlich Wohlbehagen und ein leicht mit der Wirkung eines unbekannten Halluzinogens zu verwechselndes Gefühl von geistiger Disponibilität und Regsamkeit verursacht. Es gibt wenig Wonnen, die sich damit vergleichen lassen, die Klimaanlage abzuschalten, sich auf dem Bett auszustrecken, von einem etwas zeremoniell und majestätisch wirkenden Tüllzelt gegen die Mücken geschützt, und die Nacht mit ihren Düften hereinzulassen, die auf Wellen einer feuchten, liebkosenden, fast geschlechtlichen Hitze daherziehen. Mehrere Tage lang erkundeten wir das verzweigte Amacuro-Delta. Es waren kurze, wenig genaue Streifzüge. Sich mit einem so herrlichen Labyrinth wirklich vertraut zu machen kann Jahre
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