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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Autoren: Álvaro Mutis
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bestimmte Gesichtspunkte des Unternehmens zu erklären und andere Aufgaben zu erledigen. In den ruhigen Zeiten nahm ich nicht eine Maschine in die Hauptstadt, sondern reiste lieber auf dem Fluss zum großen Meerhafen hinunter. Das machte ich in den kleinen, aber komfortablen Schleppern der Gesellschaft, die auf der Fahrt lange Kolonnen brennstoff- oder erdharzbeladener Kähne vor sich herschoben. Jeder Schlepper verfügte über zwei Kabinen für Fahrgäste, die mit dem Kapitän die Mahlzeiten teilten; diese wurden von zwei jamaikanischen Köchinnen zubereitet, deren Talent zu preisen wir nicht müde wurden. Schweinefleisch in Soße mit Dörrpflaumen, Reis mit Kokosnuss und gebratenen Bananen, leckere Flussfischsuppen und, was absolut unentbehrlich und immer willkommen war, Birnensaft mit Wodka, der uns zugleich wunderbar erfrischte und in einen idealen Zustand versetzte, um das sich immer wandelnde Panorama des Flusses und seiner Ufer zu genießen, wo sich dank des Zaubers dieses unvergleichlichen Getränks alles in einer samtenen Ferne abspielte, die wir nie zu entschlüsseln versuchten. (Es sei die Bemerkung erlaubt, dass wir immer eine Enttäuschung erlebten, wenn wir, die am meisten auf die Reise im Schlepper versessenen Passagiere, auf dem Festland die Mischung aus Wodka und Birnensaft wieder zu kosten versuchten. Wir saßen ganz einfach jedes Mal vor einem ungenießbaren Getränk.) Nachts, nach langen Gesprächen auf dem kleinen Deck, wo wir in der Hoffnung auf eine vermeintlich erfrischende Brise sitzen blieben, fielen wir in die Kojen, eingelullt vom Gelächter der schwarzen Frauen und vom Charme ihres unverständlichen, aber flüssigen Dialekts, dem das Englische als linguistisches Gerüst diente.
    Der Streik brach schließlich doch nicht aus, und die Verhandlungen mit der Gewerkschaft schlugen einen Weg verdrehter Haarspaltereien ein, der lang zu werden versprach. Ich beschloss, zum Meerhafen zu reisen, und ging in die Büros unserer Schifffahrtsgesellschaft, um einen Platz auf dem nächsten Schlepper zu reservieren. Der Angestellte, der mich immer bediente, unterhielt sich gerade mit einem großen, schlanken Mann mit dichtem, grau meliertem Haar, dessen leichter Akzent, halb französisch, halb nordspanisch, mich neugierig machte. »Der Kapitän wird mit Ihnen fahren«, sagte der Geschäftsführer zur Vorstellung an mich gewandt. Der Mann wandte sich um, schaute mich an und drückte mir mit liebenswürdigem Lächeln, in dem eine Spur von sanfter Schroffheit lag, kräftig die Hand. »Jon Iturri. Sehr angenehm.« Die grauen, unter den dichten Brauen fast versteckten Augen hatten den charakteristischen Blick dessen, der sein Leben zu einem großen Teil auf dem Meer verbracht hat. Sie schauen ihr Gegenüber fest an, vermitteln aber immer den Eindruck, sich nie von einer Ferne, einem unbestimmten, aber immer gegenwärtigen imaginären Horizont lösen zu können. Man händigte mir die Quittung aus, damit ich mich einschiffen konnte, und der Kapitän wartete auf mich, um das Büro gemeinsam mit mir zu verlassen. Wir gingen zu den Bungalows, wo der Speisesaal eingerichtet war. Man hatte bereits zum Mittagessen geläutet. Der Mann hatte einen festen, etwas militärischen Schritt, aber dieses ganz leichte Wiegen in den Hüften wie jemand, der sich auch auf dem Festland so bewegt wie auf Deck. Ich konnte meiner Neugier nicht widerstehen und fragte plötzlich: »Verzeihen Sie, Kapitän, aber Ihr Akzent macht mich neugierig. Messen Sie dem keine weitere Bedeutung bei, das ist bloß ein Tick von mir, dem ich schon nicht mehr ausweichen kann.« Der Mann lächelte offenherziger. Er hatte perfekte Zähne, die sich von seiner braun gebrannten Gesichtshaut und dem dichten schwarzen Schnurrbart abhoben. »Das verstehe ich. Machen Sie sich keine Gedanken. Außerdem bin ich daran gewöhnt. Ich bin in Ainhoa geboren, im französischen Baskenland. Meine Eltern waren aus Bayonne. Aber verschiedener familiärer Umstände wegen habe ich in San Sebastián studiert und dann meine Laufbahn als Seemann in Bilbao begonnen. Ich bin absolut zweisprachig, schleppe aber in jeder Sprache den Akzent der andern mit. Ein weiterer Grund zur Neugier ist mein Name. Hier nennen mich die Amerikaner John, und für sie ist er ganz natürlich.« – »Nun, sowie ich Ihren Namen hörte, vermutete ich Ihre baskische Herkunft. Ich habe einen Freund aus Bilbao, der ebenfalls Jon heißt. Ein sehr guter Dichter übrigens.« Wir unterhielten uns weiter und
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