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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Autoren: Álvaro Mutis
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dauern. Wir kamen bis Curiapo und San Felix. Dort tauchte, neben Schmuggel und schriller Musik, allmählich das unvermeidliche Anzeichen unserer Plastikzivilisation auf: Junk-Food. Wir kehrten nach San José de Amacuro zurück, wo uns die Vorbereitungsarbeiten für einen ersten Entwurf zu dem uns aufgetragenen Bericht mehr als eine Woche in Anspruch nahmen. Für mich bedeutete das ein wohltuendes Eintauchen in das Nirwana des Deltas. Wir mussten den Fluss bis Ciudad Bolívar hinauffahren, wo eine erste Fassung der substanzreichen Schlussfolgerungen dieser Schreibtischfachleute abgegeben werden sollte, die die zweifelhafte Begabung haben, mit einem Wortschwall nichts Denkwürdiges zu sagen, das dann in den Kanzleiarchiven vor sich hinschlummern wird, bis andere Fachleute mit denselben Gaben es ausgraben und den zyklischen Unsinn wieder in Gang setzen, der es ihnen erlaubt, in aller Ruhe ihr Gehalt zu verdienen und diese graue Großtat zu vollbringen, die als ›Karrieremachen‹ bekannt ist. Ich schützte einen Fieberausbruch vor und die Notwendigkeit, mich in der Krankenstation des Postens einer dringenden Behandlung zu unterziehen, und nahm nicht an der Reise in die Hauptstadt teil. Ein kurzes Gespräch mit dem Dienst tuenden Arzt regelte alles, und in einem Kanu mit Außenbordmotor, das von einem wortkargen Indio mit scharfen Augen, einem perfekten Kenner des Deltas, gesteuert wurde, konnte ich ausgiebig den Amacuro erforschen. Meine Kollegen kamen zurück und machten keinerlei Bemerkungen über meine zweifelhafte Genesung. Sie waren ganz davon in Anspruch genommen, über einzelne Abschnitte der Verträge von Rio de Janeiro und unverständliche Beschlüsse der Konferenz von Montevideo weiterzudiskutieren. Offensichtlich kann Dummheit die Sinne so weit überlagern, dass sie sicht-, riech- und hörbare Wunder wie das Schauspiel des Amacuro-Deltas zum Verschwinden bringt.
    In einem Schiff der venezolanischen Flotte sollten wir nach Trinidad zurückfahren, wo jeder von uns ein Flugzeug in sein Land nehmen würde. Eines Morgens weckte uns in aller Frühe die Sirene des Küstenwachschiffs, das uns abholen kam. Halb schlafend, den Kaffee noch kochend heiß in der Speiseröhre, gingen wir an Bord. Es goss in Strömen. Nachdem die Ankertaue eingezogen worden waren, heulte wieder die Sirene, um die Abfahrt anzukündigen. In diesem Augenblick hörten wir ein leises, fast tierisches Jammern als Antwort darauf. »Ein Schiff, das einfährt. Sobald es vorbei ist, sind wir dran. Die Durchfahrt ist sehr eng, denn der Fluss lagert nach dem Anschwellen eine Menge Erde und Stämme zu Bänken ab«, erklärte uns ein Offizier mit soldatischem Missmut, wie er im Gespräch mit Zivilisten die Regel ist. Irgendetwas hatte mir schon vor Tagen die Nähe des Tramp Steamer angekündigt – eine vage Unruhe, eine leise Traurigkeit, diesen Ort verlassen zu müssen, eine vorweggenommene Sehnsucht nach den Wundern, die ich hier genossen hatte. Er war es tatsächlich. Die Alción, wie ich ihn in meinen Fantasien über sein beschwerliches Wallfahren zu nennen mir angewöhnt hatte. Nebenbei gesagt, sah ich, dass sein Zustand nicht mehr gut genug sein konnte, um ihn über die Karibik und ihre nächste Umgebung hinausgelangen zu lassen. Er fuhr nach Ciudad Bolívar. »Sie wird Holz laden«, bemerkte unser Offizier und lächelte herablassend über diesen baufälligen Kasten aus unvordenklicher Zeit, der da mit demselben unregelmäßigen Hämmern der Pleuelstangen und dem erbärmlichen Kämpfen seines einzigen Schornsteins an uns vorbeizog. Die Mannschaft zeigte sich nicht auf Deck, und auf der Kommandobrücke betätigte eine verschwommene Gestalt mit knappen, gewandten Bewegungen die Hebel. Der Schmutz, der sich während weiß Gott wie vieler Jahre auf den Scheiben angesammelt hatte, ließ wenig vom Innern erkennen, außer dem trüben Licht einer elektrischen Leuchte an der Decke und dem flüchtigen Glanz eines Instruments. Es beeindruckte mich, wieder denselben Kommentar zu hören, wie ihn die schöne Halbnackte auf der Nicoya-Fahrt gemacht hatte, diesmal aus dem Mund des uns begleitenden Offiziers: »Ich weiß nicht, wie sie es in einem solchen Zustand überhaupt wagen kann. Bei diesem Regen schießt der angeschwollene Fluss mit schrecklicher Gewalt herunter, sodass sich im Nu Bänke bilden. Man hat den Eindruck, dass sie bei der ersten Erschütterung auseinander bricht. Noch nie habe ich eine solche Ruine gesehen.« Was konnte dieser geckenhafte
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