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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Autoren: Álvaro Mutis
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wohl bekannten Kirsche jedermann mixen zu können meint. Der Barkeeper unseres Hotels hielt sich an die geheiligte klassische Formel, wonach man den Ananassaft selbst zubereitet und Rum und Eis in den vorgeschriebenen Mengen verwendet. Es war zwölf Uhr mittags. Beim vierten ›planter’s punch‹ wurde mir klar, dass es ein verhängnisvoller Irrtum gewesen wäre, zu Mittag zu essen. Wenn ich den Rhythmus der Cocktails verlangsamte, würde ich in Ruhe auf einen etwas tieferen Sonnenstand warten können. Ich hatte mir vorgenommen, das Schiff zu besuchen. Ich spürte, wenn ich es nicht tat, wäre das ein schwerer Verstoß gegen den Grundsatz der Höflichkeit und Solidarität. Es wäre dasselbe gewesen, wie wenn ich es vermieden hätte, mit einem lieben alten Freund Verbindung aufzunehmen, von dem ich wusste, dass er sich in Kingston aufhielt. Einige Reisegefährten schmiedeten bereits Pläne für einen abendlichen Streifzug durch die Nachtlokale der Stadt. Ich sah davon ab, ihnen zu sagen, was für ein schäbiges Erlebnis sie erwartete. Statt Mittagsruhe zu halten, um für den Abend frisch zu sein, wollte ich ganz im Gegenteil zum Hafen gehen, meinen Versehrten Freund besuchen und danach ins Hotel zurückkehren und einige weitere Möglichkeiten kosten, die ich mit dem Barkeeper zu testen begonnen hatte. Ohne mich auch nur zu fragen, bot mir dieser ein leichtes, untadeliges Thunfischsandwich an, das mir das Mittagessen ersetzte und Raum ließ für die alkoholischen Versuche des Abends. Als die Sonne erträglich wurde, bestellte ich ein Taxi und fuhr zum Hafen. Aus der Luft hatte ich die Mole lokalisiert, wo der Frachter lag. Problemlos erreichten wir unser Ziel, sahen uns aber vor verschlossenen Zufahrtsgittern. Ein hochmütiger Zambo teilte uns übel gelaunt mit, man könne nicht weiter. Die Warenschuppen waren geschlossen, und auf der Mole wurde nicht mehr gearbeitet. Ich erkundigte mich nach dem Tramp Steamer, und er sagte, dieser sei fertig geladen und eben dabei, die Anker zu lichten. Wieder hatte ich das Gefühl, ich hätte eine mir liebe Person verletzt. Ein Fünf-Pfund-Schein und einige verworrene Erklärungen über die Notwendigkeit, dem Schiffskapitän eine dringende Mitteilung zu überbringen, milderten das Übelwollen des Wachmanns, der mich nun passieren ließ, mir aber zu verstehen gab, in einer halben Stunde würde mir niemand mehr aufmachen. Dann verlasse er seinen Posten, und die Molen blieben bis zum nächsten Tag geschlossen. Eilig ging ich auf den mutmaßlichen Standort des Schiffs zu. Als ich dort war, begann sich der Frachter, der die Ankertaue bereits gelichtet hatte, in Bewegung zu setzen. Dieselben Matrosen, die ich in Punta Arenas gesehen hatte, mit demselben Mehrtagebart und den fleckigen Hemden, den überall geflickten Bermudas und einer Zigarette im Mund, schauten zerstreut in diese eher innere als äußere Ferne, in die sich die Seeleute versenken, um jede mögliche Sehnsucht nach den trügerischen, oberflächlichen Erinnerungen zu bekämpfen, die sie an Land zurücklassen. Das Schiff hatte seinen Heimathafen nicht gewechselt, und die Flagge von Honduras hing ohne größere Anzeichen von Begeisterung am Heck, wo die Buchstaben …CIÓN weiterhin ihr verschossenes Rätsel aufgaben. Die in Jamaika geladene Fracht konnte nicht sehr groß sein, da der Schiffsrumpf deutlich über die Wasserlinie hinausragte. Das erlaubte mir, einen Teil der Schrauben zu sehen, die mit beträchtlicher Mühe das dunkle Hafenwasser schlugen. Noch viel sprechender als die vorigen Male wurde mir der baufällige Zustand dieses alten Dieners der Meere klar, der nun zum x-ten Mal seine beschwerliche Fahrt in Angriff nahm, mit der Ergebenheit eines Ochsen aus dem Latium in Vergils Georgica. Derart uralt, geschlagen und unterwürfig kam er mir vor – den Vorhaben der Menschen gehorchend, die mit ihrer erbärmlichen Rücksichtslosigkeit dieser Anstrengung, deren einziger Lohn Verschleiß und Vergessen war, eine umso größere Würde verliehen. Ich schaute zu, wie er sich am Horizont verlor, und spürte, dass ein Teil meiner selbst eine Reise ohne Rückkehr antrat. Eine Sirene zeigte mir an, dass es Zeit war, die Mole zu verlassen. Tatsächlich wartete am Gitter der Wachmann auf mich, der sich mit einem Schlüsselbund auf die Schenkel schlug, um mir zu verstehen zu geben, welche Unannehmlichkeiten ich ihm bereitete. Die Wirkung der fünf Pfund war schon lange verflogen.
    Ich kehrte zur Bar zurück, wo mir der herzliche
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