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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung
Autoren: Kathryn Lasky
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Verdauung, die glitschig feuchten Kot hervorbrachte statt der reinlichen Ballen, die Eulen auswürgten. Zwar verdauten auch Eulen die weicheren Bestandteile ihrer Nahrung auf ähnliche Weise wie andere Vögel und schieden sie in flüssiger Form aus, trotzdem genossen sie den Ruf, über derlei niedere Verrichtungen erhaben zu sein. Die unverdaulichen Bestandteile ihrer Beut e – Fell, Knöchelchen oder Zähn e – wurden zu hübschen Bällchen gepresst, die ebenso groß und genauso länglich geformt waren wie der Muskelmagen der jeweiligen Eule. Ein paar Stunden nach der Mahlzeit würgte die Eule das sogenannte Gewölle aus. „Schleimpupser“ schimpften viele als Nesthälterinnen beschäftigte Schlangen die übrigen Vögel. Mr s Plithiver benutzte natürlich niemals solche unfeinen Ausdrücke.
    „Guck mal, Mama!“, rief Soren.
    Auf einmal schien die ganze Bruthöhle von einem schallenden Knacken widerzuhalle n – allerdings nur für das empfindliche Gehör der Schleiereulen. Dann brach das Ei auseinander und ein blasser, feuchter Klumpen glitt heraus.
    „Es ist ein Mädchen! Shrrriii! “, rief Sorens Mama voll überschäumender Freude aus. „Ist sie nicht einfach hinreißend?“, seufzte die beglückte Mutter.
    „Bezaubernd!“, stimmte ihr der Vater zu.
    Kludd gähnte gelangweilt und Soren begaffte das feuchte, nackte Geschöpf, dessen riesige Glupschaugen fest geschlossen waren.
    „Warum sieht ihr Kopf so komisch aus, Mama? Ist sie krank?“, wollte er wissen.
    „Mit ihr ist alles in Ordnung, Schatz. Alle frisch geschlüpften Küken haben so einen großen Kopf. Es dauert immer eine Weile, bis der Körper den Kopf eingeholt hat.“
    „Vom Verstand ganz zu schweigen“, stichelte Kludd.
    Die Mutter überhörte die freche Bemerkung. „Darum kann deine Schwester auch den Kopf erst einmal nicht heben“, fuhr sie fort. „Du sahst am Anfang genauso aus.“
    „Wie wollen wir unsere süße Kleine denn nennen?“, fragte der Vater.
    Die Mutter erwiderte ohne Zögern: „Eglantine! Ich habe mir immer eine kleine Eglantine gewünscht.“
    „Das ist aber ein schöner Name, Mama!“ Soren wiederholte ihn leise: „Eglantin e …“ Dann trippelte er zu dem zuckenden weißen Knäuel hinüber. „Eglantine!“, flüsterte er.
    Er glaubte zu erkennen, wie sich ein Auge einen winzigen Spaltbreit öffnete, und hatte da nicht eben ein Stimmchen „Hallo!“ erwidert? Soren schloss sein Schwesterchen sogleich ins Herz.
    War Eglantine eben noch ein feuchter Klumpen gewesen, so glich sie im Nu einer weißen Flauschkugel. Soren kam es vor, als würde sie ausgesprochen rasch kräftiger. Auch in dieser Hinsicht war er selbst nicht anders gewesen, versicherten ihm seine Eltern.
    Schon am selben Abend konnte die Familie Eglantines Erstes Insekt feiern. Ihre Augen waren jetzt offen, sie schrie pausenlos vor Hunger. Sie hielt es kaum aus, bis ihr Vater die traditionelle Willkommensansprache beendet hatte.
    „Willkommen im Walde von Tyto, kleine Eglantine, willkommen im Wald der Schleiereulen, der Tyto alba , wie unser offizieller Name lautet. Dieser Wald ist unser Königreich. Er gehört uns und unseren nahen Verwandten. Wir Schleiereulen sind selten und unser Königreich ist womöglich das kleinste von allen. Tatsächlich ist es schon sehr, sehr lange her, dass wir einen König hatten. Wenn du größer wirst, Eglantine, wenn du dein zweites Lebensjahr beginnst, wirst auch du dieses Nest auf eigenen Flügeln verlassen und dir eine Bruthöhle suchen, in der du mit deinem Gefährten wohnen kannst.“
    Dieser Teil der Ansprache brachte Soren mächtig ins Grübeln. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, flügge zu werden und ein eigenes Nest zu bewohnen. Wie könnte er sich je von seinen Eltern trennen?
    Und doch verspürte er jetzt schon den Drang zu fliegen, auch wenn er nur kleine Stummelflügel besaß, auf denen sich noch nicht einmal der Ansatz einer richtigen Feder zeigte.
    „Nun“, sprach der Vater weiter, „nun wollen wir dein Erstes Insekt feiern.“ Er wandte sich nach Sorens Mutter um. „Marella, meine Liebe, holst du bitte die Grille?“
    Sorens Mutter trat mit einer der letzten Sommergrillen im Schnabel vor ihre Jüngste hin. „Friss, meine Kleine! Den Kopf zuerst! Hinein damit in den Schnabel. Und immer den Kopf zuers t – so und nicht anders verspeist man seine Beute, sei es nun Grille, Maus oder Maulwurf.“
    „Mmm!“, machte der Vater, als seine Tochter die Grille hinunterschluckte. „Da
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