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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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belustigte sich über Minouche, die, nachdem sie lange an den Wertpapieren geschnüffelt, wahrscheinlich durch den Geruch angelockt, wieder Teig zu kneten, zu schnurren und den Ecken des Buches starke Kopfstöße zu geben begann.
    »Minouche, willst du das wohl lassen!« schrie Frau Chanteau. »Seit wann spielt man mit dem Gelde!«
    Chanteau lachte, Lazare ebenfalls. Vom Rande des Tisches aus verschlang Mathieu in höchster Erregung mit seinen flammenden Augen die Papiere, die er wahrscheinlich für eine Leckerei hielt, und kläffte die Katze an. Die ganze Familie lachte laut. Pauline, von diesem Spiele entzückt, hatte Minouche in die Arme genommen und wiegte und herzte sie wie eine Puppe.
    Frau Chanteau, die ein abermaliges Einschlafen des Kindes befürchtete, ließ es sofort seinen Tee trinken. Dann rief sie Veronika.
    »Gib uns die Leuchter ... Man plaudert weiter, und an das Zubettgehen wird nicht gedacht. Schon wieder zehn Uhr! Und ich schlief schon beim Essen ein!«
    Aber eine Männerstimme wurde gerade in der Küche laut. Sie fragte die Magd, als diese vier angezündete Wachsstöcke hereinbrachte:
    »Mit wem sprichst du?«
    »Es ist Prouane ... Er kommt dem Herrn melden, daß es unten nicht gut steht. Es scheint, die Flut zertrümmert alles.«
    Chanteau hatte das Bürgermeisteramt von Bonneville annehmen müssen und Prouane, der bei dem Abbé Horteur als Kirchendiener tätig war, bekleidete außerdem den Posten des Amtsschreibers. Er hatte in der Kriegsflotte den Unteroffiziersgrad erreicht und schrieb wie ein Schulmeister. Als man ihm zurief, er solle nähertreten, erschien er mit der leinenen Mütze in der Hand und vom Wasser triefenden Kleidern und Stiefeln.
    »Was gibt es, Prouane?«
    »Verdammt, Herr, diesmal ist mit dem Hause des Cuche aufgeräumt worden. Wenn das so weiter geht, kommt das von Gonin an die Reihe. Wir waren alle da, Tournal, Houtelard, ich und die anderen. Aber was wollen Sie? Man kann gegen diese verdammte See nichts ausrichten. Sie reißt uns jedes Jahr ein Stück Land fort.«
    Es trat Schweigen ein. Die vier Wachsstöcke brannten mit hohen Flammen, und man hörte das Meer, das verdammte Meer, gegen das Gestade donnern. Das schallte wie die Entladung einer Riesenartillerie, wie schwere und regelmäßige Kanonenschüsse inmitten des prasselnden Geräusches der auf die Felsen geschleuderten Kieselsteine, was einem fortgesetzten Knattern von Flintensalven glich. Und in diesen Lärm warf der Wind sein klagendes Geheul, der Regen verdoppelte sich für Augenblicke, er schien die Mauern mit einem Bleihagel zu überschütten.
    »Das ist das Ende der Welt«, murmelte Frau Chanteau. »Und wohin haben sich die Cuches geflüchtet?«
    »Man wird sie irgendwo unterbringen müssen«, antwortete Prouane. »Sie warten inzwischen bei den Gonins ... Der kleine Dreijährige aufgeweicht wie eine Suppe! Die Mutter im Unterrock zeigte, mit Respekt zu sagen, alles, was sie hatte, und der Vater, dem der Kopf halb durch einen Balken gespalten war, verbohrte sich auf die Rettung ihrer armseligen Habe!«
    Pauline hatte den Tisch verlassen. Sie ging wieder an das Fenster und lauschte mit dem Ernste einer erwachsenen Person. Ihr Gesicht drückte eine tief betrübte Güte, eine aufrichtige Teilnahme aus, die ihre dicken Lippen erzittern ließ.
    »Oh, Tante, diese armen Leute«, sagte sie.
    Ihre Blicke wanderten hinaus in den schwarzen Schlund, zu dem die Finsternis sich verdichtet hatte. Man spürte, daß das Meer bis an die Landstraße vorgedrungen war, daß es dort aufgebläht und heulend stand; aber man sah es trotzdem nicht mehr, es schien mit Strömen von Tinte das kleine Dorf, die Uferfelsen, den ganzen Horizont überflutet zu haben. Das war für das Kind eine schmerzliche Überraschung. Dieses Wasser war ihr so schön erschienen und warf sich jetzt auf das Land!
    »Ich komme mit euch, Prouane«, rief Lazare. »Vielleicht gibt es etwas zu tun.«
    »O ja, Vetter«, sagte Pauline leise, und ihre Augen leuchteten.
    Der Mann aber schüttelte den Kopf.
    »Es lohnt sich nicht der Mühe, Herr Lazare. Sie können nicht mehr tun als die Kameraden. Wir stehen da und schauen zu, wie das Meer uns nach seinem Belieben vernichtet, und wenn es ihm nicht mehr gefällt, können wir uns noch bei ihm bedanken ... Ich habe den Herrn Bürgermeister nur in Kenntnis setzen wollen.«
    Jetzt ärgerte sich Chanteau, den dieses Trauerspiel langweilte, das ihm die Nacht verdarb und mit dem er sich am folgenden Tage zu beschäftigen
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