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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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angegeben; sodann nahm ich von unserer Seite, der Seite der Quenu, die Neffen Naudet, Liardin und Delorme. Der Familienrat ist, wie du siehst, sehr angemessen; wir werden mit ihm durchsetzen können, was wir wollen, um das Glück des Kindes zu sichern... In der ersten Sitzung ernannten sie dann den Gegenvormund, den ich gezwungenerweise unter den Verwandten Lisas gewählt hatte, Herrn Saccard...«
    »Still! sie wacht auf« – unterbrach Lazare.
    Pauline schlug in der Tat die Augen weit auf. Ohne sich zu rühren, sah sie erstaunt die plaudernden Menschen an; dann ließ sie mit einem schlaftrunkenen Lächeln die Augen wieder zufallen; und ihr unbewegliches Gesicht nahm von neuem die milchige Durchsichtigkeit der Kamelie an.
    »Ist dieser Saccard nicht der Spekulant?« fragte Chanteau.
    »Ja,« erwiderte seine Frau, »ich habe ihn gesehen, wir haben zusammen geplaudert. Ein reizender Mann... Er hat so viele Geschäfte im Kopfe, daß er mich gleich aufmerksam machte, auf seine Mithilfe sei nicht zu rechnen... Du begreifst, wir haben niemanden nötig. Wenn wir die Kleine zu uns nehmen, so nehmen wir sie ganz, nicht wahr? Ich liebe es nicht, daß man bei uns herumschnüffelt... Das übrige war schnell erledigt. Deine Vollmacht enthielt zum Glück alle notwendigen Befugnisse. Man entfernte die Siegel, nahm den Vermögensbestand auf und verkaufte das Wurstgeschäft aufs Meistgebot. Ein wahrer Glücksfall! Zwei rasende Bewerber, neunzigtausend Franken bar! Der Anwalt hatte bereits sechzig tausend Franken in Staatspapieren in einem Möbel gefunden. Ich habe ihn ersucht, weitere Papiere zu kaufen, und so haben wir hundertfünfzigtausend Franken in sicheren Werten, die ich zu meiner Freude gleich mitbringen konnte, nachdem ich den Bureauvorsteher von der Vollmacht entbunden und ihm die Quittung gegeben hatte, um die ich dich mit umgehender Post ersuchte... Halt, seht euch das an!«
    Sie hatte abermals die Hand in die Reisetasche gesteckt und holte jetzt ein unfangreiches Paket hervor, das Paket der Wertpapiere, das zwischen zwei Kartondeckel eines alten Geschäftsbuches des Wurstladens geschnürt war, dessen Blätter ausgerissen waren. Der grün marmorierte Umschlag war mit Fettflecken bespritzt. Vater und Sohn beäugelten dieses Vermögen, das auf die abgenutzte Decke ihres Tisches niederfiel.
    »Der Tee wird kalt, Mama«, sagte Lazare und setzte die Feder ab. »Ich gieße ein.«
    Er war aufgestanden und füllte die Tassen. Die Mutter hatte nicht geantwortet, ihre Augen waren fest auf die Wertpapiere gerichtet.
    »Natürlich habe ich«, fuhr sie mit langsamer Stimme fort, »in dem letzten von mir veranlaßten Familienrate die Entschädigung meiner Reisekosten nachgesucht, und man hat die Pension für die Kleine mit achthundert Franken angesetzt ... Wir sind nicht so reich wie sie, können ihr also kein Gnadenbrot geben. Keiner von uns möchte von diesem Kinde Nutzen ziehen wollen, aber es fällt uns schwer, von dem Unseren zuzuschießen. Man wird die Zinsen ihrer Renten zurücklegen und von heute bis zu ihrer Großjährigkeit das Kapital fast verdoppeln ... Mein Gott! wir erfüllen nur unsere Pflicht. Man muß den Toten gehorchen. Wenn wir noch vom Unseren zuschießen, gut, so bringt uns das vielleicht Glück, das wir sehr gebrauchen können. Das arme Herzchen war so erschüttert und schluchzte so stark, als es seine Magd verließ! Es soll sich glücklich bei uns fühlen.«
    Die beiden Männer wurden von Rührung erfaßt.
    »Ich werde ihr gewiß nichts tun«, sagte Chanteau.
    »Sie ist entzückend,« fügte Lazare hinzu, »ich liebe sie schon sehr.«
    Mathieu aber, der in seinem Schlafe den Tee gerochen, hatte sich geschüttelt und seinen großen Kopf abermals auf den Tischrand gelegt. Minouche streckte sich ebenfalls und krümmte gähnend den Rücken. Es war ein allgemeines Erwachen; die Katze reckte den Hals, um das Paket in dem fettigen Kartondeckel zu beriechen. Als die Chanteaus ihre Blicke Pauline zuwandten, sahen sie ihre Augen offen und auf die Papiere, auf dieses alte, zerlumpte, hier sich wiederfindende Geschäftsbuch gerichtet.
    »Sie weiß sehr gut, was darin ist«, hob Frau Chanteau an. »Nicht wahr, mein Schatz, ich habe es dir in Paris gezeigt ... Es ist die Hinterlassenschaft deiner armen Eltern für dich.«
    Tränen rollten über die Backen des kleinen Mädchens. So kehrte zuweilen sprunghaft ihr Kummer zurück, wie plötzliche Regengüsse im Frühjahr. Sie lächelte aber bereits inmitten ihrer Tränen, sie
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