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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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verschlagen, wo ein anderer Oheim ihm späterhin eine große Wurstmachern mitten im Hallenviertel abgetreten hatte. Man war sich kaum zwei- oder dreimal begegnet, seitdem Chanteau, durch seine Schmerzen gezwungen, sein Geschäft aufgegeben hatte und mehrfach nach Paris gekommen war, um einige medizinische Berühmtheiten zu Rate zu ziehen. Die beiden Männer schätzten sich aber gegenseitig, auch hatte der Sterbende vielleicht gedacht, daß seinem Kinde die Seeluft gut tun werde. Im übrigen war dieses als Erbin einer Wursthandlung gewiß nichts weniger als eine Last. Frau Chanteau war daher sofort mit allem einverstanden und zwar so lebhaft, daß sie selbst ihrem Manne die gefährliche Strapaze einer Reise abzunehmen wünschte. Sie war allein gefahren und hatte mit ihrem gewohnten Drange nach Tätigkeit die Pariser Straßen abgelaufen, um diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Chanteau wünschte nichts weiter, als daß seine Frau zufrieden war.
    Aber warum kamen die beiden noch immer nicht? Angesichts des blassen Himmels, an dem der Westwind große schwarze Wolken gleich berußten Fetzen dahinführte, deren Löcher und Risse weit über das Meer sich schleppten, befielen ihn von neuem allerlei Befürchtungen. Es tobte gerade einer jener Sonnenwendestürme, wo die Brandung wütend die Küsten peitscht. Die Flut, die erst zu steigen begann, zeichnete sich am Horizont nur wie ein weißer Saum, ein feiner, sich verlierender Gischt ab. Das an diesem Tage so weithin bloßgelegte Ufer, diese Meilenweite von düsteren Klippen und Seegras, diese kahle, mit Pfützen durchsetzte Ebene war unter der sinkenden Dämmerung der Flucht aufgescheuchter Wolken von einer erschreckenden Trübseligkeit. »Der Wind mag sie auch in einen Graben geschleudert haben«, sagte Chanteau zu sich.
    Ein Bedürfnis nach Umschau wurde in ihm lebendig. Er öffnete die Glastür und wagte sich mit seinen Pantoffeln aus Stoffleisten auf die den Ort beherrschende Terrasse hinaus. Einige vom Orkan verwehte Regentropfen schlugen ihm in das Gesicht, der Wind klatschte ihm den blauen, grobwollenen Rock an den Körper. Er krümmte zwar den Rücken, wich aber nicht zurück, trotzdem er ohne Mütze war. Er lehnte sich über die Brüstung, um die unten vorbeiführende Straße überschauen zu können. Diese Straße kam zwischen zwei Abhängen hervor: Ein Axthieb in den Felsen schien eine Schlucht geöffnet zu haben, die auch die wenigen Meter Erde geliefert hatte, in welche die fünfundzwanzig oder dreißig baufälligen Hütten von Bonneville eingesetzt waren. Jede Hochsee, so sollte man meinen, mußte sie auf ihrem schmalen Bette von Strandschiefer gegen die Felsen schmettern. Zur Linken sah man einen kleinen Ankerplatz, eine Sandbank, auf die Männer etwa zehn Barken unter regelmäßigem Rufen zu ziehen sich bemühten. Das Dorf zählte kaum zweihundert Bewohner. Sie lebten schlecht genug vom Meere, klebten aber mit der blöden Verbohrtheit von Schleimtieren an ihrem Felsen. Über den Winter für Winter eingeschlagenen, elenden Dächern sah man auf dem steilen Gestade in halber Höhe rechts nur die Kirche und links das Haus der Chanteau, beide getrennt durch die Schlucht der Landstraße. Das war ganz Bonneville.
    »Oh! He! Welch hundsföttisches Wetter?« rief jemand.
    Chanteau blickte auf und erkannte den Pfarrer, Abbé Horteur, einen untersetzten Mann von bäuerlich derber Gestalt, dessen fünfzig Jahre seine roten Haare noch nicht gebleicht hatten. Auf einem Teile des Friedhofgeländes vor der Kirche hatte sich der Pfarrer einen Küchengarten geschaffen. Dort stand er und betrachtete eben die ersten Salatstauden. Die Sutane hatte er zwischen die Schenkel geklemmt, damit der Wind sie ihm nicht über den Kopf schlage. Chanteau, der nicht gegen den Sturm zu sprechen vermochte, mußte sich mit einer grüßenden Handbewegung zufrieden geben.
    »Ich glaube, sie tun gut, die Boote auf das Trockene zu bringen«, fuhr der Pfarrer aus vollem Halse fort. »Gegen zehn Uhr werden sie tanzen.«
    In diesem Augenblicke schlug richtig ein Windstoß ihm den Priesterrock über den Kopf und er verschwand hinter der Kirche.
    Chanteau hatte sich nun gewandt und hielt mit hochgezogenen Schultern den Anprall aus. Seine Augen standen ihm voll Wasser. Er warf einen Blick auf seinen vom Meere verwüsteten Garten und auf den zweigeschossigen Ziegelbau mit den fünf Fenstern nach vorne, deren Läden trotz der Sicherheitsriegel entführt zu werden drohten. Als der Windstoß
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