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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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wohl«, sagte Veronika gelassen. »Man hätte das Essen nicht warten lassen sollen.«
    Pauline zerlegte ihr Fleisch vergnügt in kleine Stückchen und schluckte es dessenungeachtet. Lazare wußte überhaupt nie, was er auf dem Teller hatte; er hätte selbst Brotschnitten als Geflügelragout verzehrt. Chanteau dagegen betrachtete die Hammelkeule mit düsterem Blicke.
    »Was hast du außerdem noch, Veronika?«
    »Gebratene Kartoffeln, Herr.«
    Er machte eine verzweifelte Gebärde und lehnte sich in seinen Lehnstuhl zurück.
    »Wenn der Herr will, kann ich das Rindfleisch wiederbringen«, meinte die Magd.
    Er aber schüttelte mit einer trübseligen Bewegung den Kopf. Ebenso gern trockenes Brot wie Suppenfleisch. Mein Gott, welche Mahlzeit! Hatte das schlechte Wetter doch selbst das Fischgericht zu Wasser werden lassen! Frau Chanteau, eine schwache Esserin, sah ihn mitleidig an.
    »Armer Mann,« sagte sie mit einem Male, »du tust mir leid... Ich hatte ein Geschenk für morgen; doch da heute abend Hungersnot herrscht ...«
    Sie hatte ihre Reisetasche abermals geöffnet und zog eine Dose mit Gänseleberpastete hervor. Die Augen Chanteaus leuchteten, Gänseleberpastete! Verbotene Frucht! Eine wonnevolle Leckerei, die der Arzt durchaus verwehrte!
    »Doch du weißt,« fuhr seine Frau fort, »ich erlaube dir nur eine Schnitte... Sei vernünftig, oder du bekommst nie wieder welche.«
    Er hatte das Näpfchen ergriffen und nahm sich mit zitternder Hand davon. In dieser Weise fanden oft fürchterliche Kämpfe statt zwischen dem Entsetzen vor einem neuen Anfall und der Leidenschaft seiner Feinschmeckerei; fast immer war letztere die Siegerin. Umso schlimmer! Es schmecke zu gut, er wolle lieber Schmerzen leiden!
    Veronika, die ihn ein mächtiges Stück hatte abschneiden sehen, kehrte in ihre Küche zurück und brummte:
    »Schon gut, das wird wieder ein Geheul sein!«
    Diese Redensart kam ihr ganz natürlich in den Mund, die Herrschaft hatte sie sich gefallen lassen, weil sie das so offen sagte. Der Herr heulte, wenn er einen Anfall hatte; es war wirklich ganz so, daß man nicht daran dachte, sie an die schuldige Achtung zu erinnern.
    Das Ende der Mahlzeit war sehr heiter. Lazare entwand scherzend die Dose den Händen seines Vaters. Als der Nachtisch erschien, Käse und Zwieback, gab das plötzliche Auftauchen von Mathieu Anlaß zu großem Vergnügtsein. Bis dahin hatte er irgendwo unter dem Tische geschlafen. Das Erscheinen der Zwiebäcke hatte ihn soeben munter gemacht, er schien sie im Schlafe zu wittern; alle Abend, genau in diesem Augenblick, schüttelte er sich; er machte seine Runde und suchte das Wohlwollen der Tischgenossen in ihren Gesichtern zu lesen. Gewöhnlich war Lazare der am schnellsten zu Erweichende. An diesem Abend aber blickte Mathieu bei seinem zweiten Rundgange Pauline mit seinen guten, menschlichen Augen ständig an, legte dann, weil er in ihr eine große Freundin der Tiere und Menschen ahnte, seinen mächtigen Kopf auf das kleine Knie des Kindes, ohne seine flehenden Augen von ihr zu wenden.
    »Oh! dieser Bettler!« sagte Frau Chanteau. »Sachte, Mathieu, willst du wohl nicht so wild auf das Fressen sein!«
    Der Hund hatte zuschnappend das Stück Zwieback geschluckt, das ihm Pauline reichte; er legte seinen Kopf von neuem auf das kleine Knie und bat um ein anderes Stück, die Augen beständig auf die seiner neuen Freundin gerichtet. Sie lachte, küßte ihn und fand ihn höchst drollig mit seinen niedergeklappten Ohren, einem schwarzen Male über dem linken Auge, dem einzigen Fleck auf seinem weißen, krausen, langhaarigen Fell. Es ereignete sich indessen ein Zwischenfall. Die eifersüchtige Minouche sprang leichtfüßig auf den Rand des Tisches und stieß schnurrend, mit geschmeidigem Rückgrat und der Zierlichkeit einer jungen Ziege an das Kinn der Kleinen mit dem Kopfe. Es war das ihre Art sich anzuschmeicheln, man fühlte ihre kalte Nase und das Streifen ihrer spitzen Zähne, während sie wie ein Teig knetender Bäckergeselle auf ihren Pfoten tanzte. Pauline war zwischen den beiden Tieren geradezu im siebenten Himmel; die Katze zur Linken, den Hund zur Rechten, von ihnen frech ausgebeutet, bis ihr ganzer Nachtisch an sie verteilt war.
    »Schicke sie weg«, sagte ihre Tante. »Sie werden dir nichts übrig lassen.«
    »Was tut es?« antwortete sie schlicht, in ihrem Glücke alles wegzugeben.
    Man hatte das Mahl beendet. Veronika nahm die Gedecke fort. Die beiden Tiere zogen ab, als sie den Tisch leer sahen,
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