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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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...«
    Der Kutscher, ein alter Stelzfuß und früherer Matrose, der durch den damaligen Marinechirurgus Cazenove operiert worden und später in dessen Dienst geblieben war, schirrte gerade das Pferd fester. Frau Chanteau unterbrach ihren Bericht, um ihm zuzurufen:
    »Martin, helft doch der Kleinen beim Aussteigen.«
    Niemand hatte an das Kind gedacht. Da das Schutzdach des Wagens tief heruntergelassen war, sah man nur sein Trauerkleid und seine kleinen schwarzbehandschuhten Hände. Es wartete jetzt nicht mehr, bis ihm der Kutscher half, sondern sprang ohne weiteres leichtfüßig auf die Erde. Die Windsbraut pfiff und verfing sich in den Kleidern des Kindes; Strähnen braunen Haares zerzausten sich unter dem Krepp des Hutes. Das Mädchen war für seine zehn Jahre eine kräftige Erscheinung, es hatte starke Lippen, ein volles, farbloses Gesicht, von der Weiße jener Mädchen, die in den Pariser Hinterläden aufwachsen. Alle blickten es an. Veronika, die zur Begrüßung ihrer Gebieterin herbeigekommen war, hielt sich mit eisigem, eifersüchtigem Gesicht abseits. Mathieu dagegen beobachtete diese Zurückhaltung nicht, er drängte sich zwischen die Arme des Kindes und beleckte mit der Zunge dessen Gesicht.
    »Fürchte dich nicht,« rief Frau Chanteau, »er ist nicht bösartig.«
    »O, ich habe durchaus keine Furcht«, antwortete Pauline sanft. »Ich habe Hunde sehr gern.«
    Sie blieb in der Tat völlig gelassen bei den rauhen Zudringlichkeiten Mathieus. Ihr kleines, ernstes Gesicht überflog trotz seiner Trauer ein Lächeln; dann drückte sie einen kräftigen Kuß auf die Schnauze des Neufundländers.
    »Die Menschen umarmst du nicht?« sagte Frau Chanteau. »Hier hast du deinen Onkel, denn du nennst mich ja Tante ... Und hier also deinen Vetter, einen großen Taugenichts, weit unverständiger als du selbst.«
    Das Kind zeigte sich durchaus nicht verlegen. Es umarmte alle und fand mit der Anmut der kleinen, in allen Höflichkeiten bereits bewanderten Pariserin für jeden ein passendes Wort.
    »Ich danke dir, Onkel, daß du mich in dein Haus aufnehmen willst ... Du sollst sehen, Vetter, wir werden uns gut vertragen.«
    »Sie ist allerliebst«, rief Chanteau entzückt.
    Lazare sah Pauline starr an; er hatte sie sich kleiner und scheuer vorgestellt, wie es so junge Dinger gewöhnlich sind.
    »Ja, ja, allerliebst«, wiederholte die alte Dame. »Und tapfer, ihr habt keine Ahnung, wie tapfer! ... Der Wind kam uns in diesem Wagen von vorn und blendete uns fast durch den Wassers taub. Wohl zwanzigmal glaubte ich, daß der Verschlag, der wie ein Segel krachte, in Stücke gehen werde. Was glaubt ihr wohl? Sie fand es sehr unterhaltend, und es machte ihr Spaß... Doch was stehen wir hier noch länger? Ich halte es für unnötig, noch nasser zu werden. Der Regen beginnt schon wieder.«
    Sie wandte sich um und suchte Veronika. Als sie die Magd mit mürrischem Gesichte abseits stehen sah, meinte sie spöttisch:
    »Guten Tag, mein Kind, wie geht es dir? Einstweilen, bis du mich nach meinem Befinden fragst, holst du wohl eine Flasche für den Martin herauf, nicht wahr?... Wir haben unser Gepäck nicht bei uns, Malivoire bringt es morgen zeitig.«
    Sie unterbrach sich und lief mit bestürztem Gesicht wieder zum Wagen zurück.
    »Meine Reisetasche?... O diese Angst! Ich glaubte schon, sie wäre unterwegs aus dem Wagen gefallen.«
    Es war eine große, schwarze, durch den vielen Gebrauch an den Ecken bereits abgenützte Tasche, die sie dem Sohne durchaus nicht anvertrauen wollte. Endlich waren alle auf dem Wege zum Hause, als ihnen ein neuer Windstoß dicht vor der Tür den Atem benahm und sie zum Verweilen zwang. Die noch immer mit neugieriger Miene dort hockende Katze sah, wie sie gegen den Wind ankämpften. Frau Chanteau wollte wissen, ob Minouche sich während ihrer Abwesenheit gut aufgeführt habe. Der Name Minouche ließ abermals ein Lächeln um den ernsten Mund Paulines spielen. Sie bückte sich, streichelte das Tier, das sich auch sofort an ihrem Kleide rieb und dabei den Schwanz in die Luft streckte. Mathieu bellte von neuem heftig und begleitete so die Rückkehr zum heimischen Herde, während er die Familie die Stufen hinaufsteigen und sich im Vorflure endlich in Sicherheit bringen sah.
    »Ah, hier ist es gut sein«, sagte die Mutter. »Ich glaubte schon, wir würden nie nach Hause kommen. Ja, Mathieu, du bist ein guter Hund, aber jetzt laß uns endlich in Frieden. Ich bitte dich, Lazare, bring ihn zum Schweigen: meine Ohren sind
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