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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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selbst mit dem Gedanken, eines Tages sterben zu müssen.«
    Lazare schlug ein verlegenes Lachen an.
    »Bah!« murmelte er, »er wird die Gicht bekommen wie sein Großvater und seine Nerven werden noch zerrütteter sein als die meinen. Sieh doch, wie schwach er ist! Das ist das Gesetz der Entartungen.«
    »Willst du schweigen!« rief Pauline. »Ich ziehe ihn auf, und du sollst sehen, was für einen Mann ich aus ihm mache!«
    Es trat ein Schweigen ein, während sie den Kleinen mit mütterlicher Zärtlichkeit an sich drückte.
    »Warum heiratest du nicht, wenn du die Kinder so lieb hast?« fragte Lazare.
    »Aber ich habe ja ein Kind! Hast du mir nicht eines gegeben?... Heiraten! Das nie im Leben!«
    Sie wiegte den kleinen Paul. Sie lachte noch lauter, indem sie scherzend erzählte, ihr Vetter habe sie zu dem großen, heiligen Schopenhauer bekehrt, daß sie ein Mädchen bleiben wolle, um an der allgemeinen Erlösung zu arbeiten; und so war sie in der Tat die Selbstverleugnung, die Nächstenliebe, die über die böse Menschheit ausgebreitete Güte. Die Sonne versank in das unermeßliche Meer; von dem bleichen Himmel senkte sich eine Heiterkeit nieder; das unendliche Wasser und die unendliche Luft nahmen die zarte Milde der Tagesneige an. Nur ein weißes Segel in weiter Ferne zeigte noch ein erlöschendes Aufleuchten, als das Gestirn bereits unter die gerade und schlichte Linie des Horizontes getaucht war. Es blieb nur noch das langsame Niedersinken der Dämmerung auf die regungslosen Fluten. Sie wiegte das Kind noch immer mit ihrem tapferen Lachen, aufrecht stehend inmitten der in bläuliche Schatten gehüllten Terrasse zwischen dem niedergedrückten Vetter und dem stöhnenden Onkel. Sie hatte sich von allem entblößt; aus ihrem schallenden Lachen tönte das Glück.
    »Wird heute abend nicht gespeist?« fragte Luise, die in einem koketten grauseidenen Kleide erschien.
    »Ich bin bereit und weiß nicht, was die Herren noch im Garten tun.«
    In dem nämlichen Augenblicke kam der Abbé mit verstörter Miene zurück. Als man ihn besorgt fragte, sagte er ohne Umschweife heraus, was er vergebens erst zu umschreiben versucht hatte, um den Schlag zu mildern:
    »Wir haben die arme Veronika an einem Ihrer Birnenbäume erhängt gefunden.«
    Alle stießen einen Schrei des Staunens und Entsetzens aus, die Gesichter erbleichten bei diesem sie streifenden Hauche des Todes.
    »Aber warum?« rief Pauline. »Sie hatte keinen Grund; sie hatte schon die Zubereitung des Essens angefangen. Mein Gott, wenn es nur nicht deswegen ist, daß ich ihr sagte, daß sie ihre Ente um zehn Sous zu teuer zahlte!«
    Da kam auch der Doktor herbei. Seit einer Viertelstunde versuchte er in dem Schuppen, wohin er sie mit Martin gebracht hatte, sie in das Leben zurückzurufen, aber vergebens. Konnte man bei so einer alten, verrückten Magd wissen? Sie hatte sich nie über den Tod ihrer Herrin trösten können.
    »Es hat gewiß nicht lange gedauert. Sie hat sich einfach an dem Bande einer ihrer Küchenschürzen aufgeknüpft.«
    Lazare und Luise schwiegen starr vor Entsetzen. Nachdem Chanteau eine Weile ruhig zugehört, fuhr er plötzlich empor bei dem Gedanken an die gefährdete Mahlzeit. Dieser Jammermensch ohne Hände und Füße, den man wie ein Kind schlafen legen und füttern mußte, dieses elendigliche Überbleibsel eines Menschen, dessen bißchen Leben nur ein einziges Schmerzensgeheul war, rief in wütender Entrüstung aus:
    »Wie dumm muß man sein, um sich das Leben zu nehmen!«

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