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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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sehr. Ich glaubte, die Sonne würde mir gut tun, aber ich ersticke trotzdem, jedes einzelne meiner Gelenke brennt mir.«
    Cazenove untersuchte seine Hände. Alle schauderten zusammen bei dem Anblick dieser elendiglichen, verkrüppelten Stümpfe. Der Priester warf noch eine sinnreiche Bemerkung hinzu.
    »Solche Finger sind nicht bequem zum Dame spielen ... Diese Zerstreuung fehlt Ihnen jetzt auch.«
    »Seien Sie vernünftig mit der Nahrung«, empfahl der Arzt. »Der Ellbogen ist sehr entzündet, die Eiterung schreitet immer mehr vor.«
    »Was muß ich denn tun, um vernünftig zu sein?« stöhnte Chanteau verzweifelt. »Man mißt mir den Wein ab, man wiegt mir das Fleisch zu; soll ich mit jeglicher Nahrung aufhören? ... Wahrhaftig, das heißt nicht mehr leben ... Wenn ich noch allein äße! Aber wie sollte ich es mit derartigem Jammerwerkzeug an den Enden der Arme anfangen? Pauline, die mir zu essen gibt, kann sicher sein, daß ich nicht zuviel esse.«
    Das junge Mädchen lächelte.
    »Ja, ja, du hast gestern zuviel gegessen ... Das ist mein Fehler, ich kann dir nichts abschlagen, wenn ich sehe, daß deine Feinschmeckerei dich so unglücklich macht.«
    Da stellten sich alle heiter und neckten ihn mit den Festmahlen, die er sich noch gönne. Aber ihre Stimmen zitterten vor Mitleid angesichts dieses Überbleibsels eines Menschen, dieser trägen Masse, die gerade noch soviel lebte, um leiden zu können. Er war in seine alte Lage zurückgesunken, den Körper nach rechts gebeugt, die Hände auf den Knien.
    »Heute Abend zum Beispiel haben wir eine Ente am Spieß.«
    Aber sie unterbrach sich und fragte:
    »Sind Sie nicht Veronika begegnet, als Sie durch Verchemont kamen?«
    Sie berichtete von dem Verschwinden der Magd. Weder Lazare noch der Arzt hatten sie gesehen. Man wunderte sich über die Laune dieses Mädchens und scherzte schließlich darüber: es müsse drollig sein, wenn man bei ihrer Heimkehr schon bei Tische sitze und ihr Gesicht beobachten könne.
    »Ich verlasse Sie, denn ich habe heute Küchendienst«, rief Pauline heiter. »Wenn ich das Ragout anbrennen lasse oder die Ente nicht durchgebraten anrichte, kündigt mir Onkel achttägig.«
    Der Abbé Horteur ließ ein breites Lachen hören, und selbst den Doktor Cazenove belustigte diese Vorstellung, als das Fenster des ersten Stockwerkes sich plötzlich mit heftigem Geklapper des Riegels wieder öffnete. Luise erschien nicht, sondern begnügte sich mit trockener Stimme durch die Spalte der Fensterflügel zu rufen:
    »Komm herauf, Lazare!«
    Dieser machte eine abwehrende Bewegung und wollte ersichtlich einem in solchem Tone hingeschleuderten Befehle nicht nachkommen. Aber Pauline richtete eine stumme Bitte an ihn in dem Wunsche, einen Auftritt vor den Gästen zu vermeiden; so stieg er hinauf, während sie noch einen Augenblick auf der Terrasse blieb, um den schlechten Eindruck zu verscheuchen. Es war Stille eingetreten, man betrachtete verlegen das Meer. Die schrägen Sonnenstrahlen überspannen es mit einer goldenen Decke, die einen flüchtigen Feuerglanz über die kleinen, blauen Wellen breitete. In der Ferne färbte sich der Horizont mit einem zarten Lila. Dieser schöne Tag endete mit einem erhabenen Frieden, der die Unendlichkeit des Himmels und des Meeres ohne eine Wolke oder ein Segel entrollte.
    »Freilich,« wagte Pauline lächelnd zu sagen, »er hat auswärts geschlafen, also muß man ihn schon ein wenig schelten.«
    Der Doktor schaute sie an und zeigte ein Lächeln, in dem sie seinen ehemaligen Blick wiederfand, als er ihr voraussagte, daß sie ihnen kein schönes Geschenk mache, wenn sie sie einander gebe. Sie wandte sich jetzt ebenfalls der Küche zu.
    »Ich verlasse Sie, sehen Sie zu, womit Sie sich unterhalten... Und du, Onkel, rufe mich, wenn Paul aufwacht.«
    Als sie das Ragout in der Küche umgerührt und den Spieß bereitgelegt hatte, klapperte sie vor Ungeduld mit den Schüsseln. Luisens und Lazares Stimmen drangen durch die Decke immer lauter zu ihr, und der Gedanke, daß man sie auch auf der Terrasse hörte, brachte sie zur Verzweiflung. Sie waren wirklich unvernünftig, wie taube Leute zu schreien und aller Welt ihre Zwistigkeiten anzuvertrauen. Trotzdem wollte sie nicht hinaufgehen: erstens hatte sie das Essen zu bereiten, und dann erregte ihr der Gedanke Unbehagen, sich so zwischen sie selbst, bis in ihr Zimmer zu drängen. Gewöhnlich versöhnte sie sie unten in den Stunden des gemeinsamen Lebens wieder. Einen Augenblick ging sie in das
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