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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava
Autoren: Ulrich Magin
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Touristen erklärt, dass der See kein Maar war – ein Maar ist das Ergebnis einer unterirdischen Verpuffung von Wasser, die den darüber liegenden Boden in die Luft sprengt. Ein Maar sitzt deshalb nicht oben auf einem Berg wie ein Krater, sondern liegt wie von einer Backform ausgestanzt vertieft in der Ebene. Der Laacher See aber war nicht einmal ein Kratersee, sondern eine Caldera – hier war ein mächtiger Berg, größer als der Vesuv, im Verlaufe einer einzigen, ungeheueren Eruption explodiert! Der Laacher See, so friedlich und beschaulich, war ein richtiges Monster, das unter dem Boden schlummerte. Wir laufen hier, pflegte sie zu sagen, auf einer dünnen Eisschicht, die jederzeit brechen kann. Und dann deutete sie jedes Mal auf das Blubbern im See. Auch wenn die meisten Menschen den Unterschied zwischen Maar, Kratersee und Caldera vermutlich nach fünf Minuten schon wieder vergessen hatten – das Blubbern verstanden sie.
    Franziska lief wie eigentlich fast jeden Tag das gesamte Ufer des Sees wie stets im Uhrzeigersinn ab. Sie ging am Parkplatz vorbei geradewegs zum Wasser, nach links entlang des Ufersaums zu einem kleinen Platz mit Pier, an dem Touristen auf Bänken saßen und sich sonnten.
    Sie kam langsamer voran als sonst, weil Clara jede Blüte einzeln betrachten musste, und ging auch langsamer, damit ihre Tochter mit ihr Schritt halten konnte. Der Weg führte am flachen Ufer entlang, mit den Bäumen und dem Wasser rechts, den Weiden links, dann über eine Wiese, direkt hinter dem Veitskopf, einem uralten Lavastrom, am Campingplatz vorbei. Von irgendwoher klang dumpfe Schlagermusik herüber. Die Menschen lagen im Gras und sonnten sich.
    Franziska schritt hinein in einen wilden, urwüchsigen Wald, der den steilen Hang der Kraterwand emporkletterte. Hier befanden sie sich unterhalb des Lydiaturms, einem Platz, der eine ideale Aussicht auf den ganzen Kratersee bot.
    Sie erreichten den Lorenzfelsen, einen alten, hoch aufragenden Lavastrom. Hier war es ruhiger, obwohl der Wind die Stimmen der Ausflügler noch herübertrug. Es dauerte ein paar weitere hundert Meter, bis der Wald das Geschnatter endgültig verschluckte. Sie hatten den See nun zu drei Vierteln umrundet.
    Ein Windstoß verwuschelte das Wasser in eine raue Fläche mit Tausenden von Kräuseln, Rippeln im Wasser wie Rippel im Meeressand, welche die Sonnenspiegelungen zum Flirren brachten.
    Es roch nach frischen Frühlingsblüten, nach Baumharz und feuchtem Laub. Franziska wollte die Mofetten kontrollieren, Stellen im Wasser, an denen Gase aus dem Erdinneren nach einer langen Wanderung durch Spalten und Klüfte schließlich aus dem See austraten. Wie bei Mineralwasser oder Limonade sprudelten kleine Blasen hervor. Manche dieser Stellen befanden sich draußen im See, ein oder zwei konnte man bequem vom Ufer aus erkennen, weil das Wasser dort wie in einem Topf wallte, den man zum Eierkochen auf den Herd gesetzt hat. Selbst im Winter, wenn der See zufror und eine weiße Schicht aus Schnee das Eis überzog, blieben diese Quellen frei.
    Es waren keine Menschen zu sehen. Der breite Trampelpfad verlief ohnehin etwas weiter oben, aber die große Hitze, die schon jetzt im Mai herrschte, sorgte dafür, dass die Touristen sich in der Umgebung des Klosters aufhielten. Bis hierher schafften sie es selten, da lief allenfalls gelegentlich ein Jogger vorbei.
    Franziska schmeckte den Staub, den jeder Schritt auf dem trockenen Weg aufwirbelte. Sie genoss, dass es für die Jahreszeit viel zu heiß war. Überall konnte man im See Leute schwimmen sehen, obwohl das strikte Schwimm- und Tauchverbot seit Jahren galt. Aber es war schon so heiß, dass alle aus der Region, besonders aus der nahen Stadt Koblenz, zum See drängten. Leserbriefe an die Lokalzeitungen hatten auch schon wortreich ein Ende des Verbots eingefordert.
    Hier war ein richtiger Urwald: Schwere, dicke Stämme bogen sich tief über den Trampelpfad, umgestürzte Baumstämme moderten, mit Pilzen übersät, vor sich hin.
    Franziska sah, als sie an den Mofetten angekommen waren, sehr genau hin. Sie wollte wissen, ob das Erdbeben, das die Region erschüttert hatte, etwas an den Blasen und Bläschen verändert hatte. Tatsächlich – da blubberte es kräftig im See, viel stärker als gewöhnlich, und ein leichter Schwefelgeruch lag über dem Wasser. Clara hustete, verstummte dann aber mit einem Mal. Es gluckste und gluckerte, wo die Mofetten am Tag zuvor ganz ruhig vor sich hingeblubbert hatten. Es gab keinen
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