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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava
Autoren: Ulrich Magin
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Zweifel: Die Gasproduktion nahm zu. Mehrere sehr große Blasen, fast handtellerbreit im Durchmesser, platzten auf der Seeoberfläche auf. Dann stank es stark nach Schwefel.
    Erklärungen dafür gab es einige: Am wahrscheinlichsten war, dass sich die Schründe im Gestein, durch die das Gas aufstieg, einfach durch die Erdbewegungen vergrößert hatten. Oder aber das Magma, das heiße, glühende Flüssiggesteindes Erdkerns, kochte zur Oberfläche hoch und hatte nicht nur die Erdstöße verursacht, sondern war auch der Grund der verstärkten Gasemission.
    Ein Ansteigen des Magmas bedeutete zugleich eine erhöhte Gefahr für einen Vulkansausbruch. Franziska war klar, dass die meisten Menschen im Rheinland nicht einmal wussten, dass sie auf einem Pulverfass saßen – dem größten Supervulkan Europas, einem der größten Vulkane der Welt. Tatsächlich war der letzte Ausbruch des Laacher Sees die gewaltigste vulkanische Eruption gewesen, die Menschen je erlebt hatten. Spuren der ausgeworfenen Gesteine fanden sich von Spanien bis Schweden, Archäologen datierten ihre Funde sogar danach, ob diese aus der Zeit vor oder nach diesem Ausbruch stammten. Damals waren die Eifel und das Rheinland bereits besiedelt gewesen, nomadische Jäger und Sammler hatten die ersten Dörfer errichtet. Diese Dörfer hatte der Ausbruch allesamt unter einer sieben Meter starken Gesteinsschicht begraben. Dann hatten Schlammlawinen den Rhein zu einem gewaltigen See gestaut – als dieser Damm gebrochen war, hobelte eine Riesenflut alle menschlichen Siedlungen vom Niederrhein bis in die Niederlande einfach fort. Es war nicht auszudenken, was geschehen würde, sollte der Laacher See wieder ausbrechen.
    Den Touristen erklärte Franziska bei Führungen immer: Der Vulkan sei nicht erloschen, er sei nur inaktiv. Er ruhe nicht einmal wirklich, denn die Stellen, an denen die Gase emporstiegen, zeigten, dass er noch immer rege sei.
    Nun hatte sich in der Nacht das Erdbeben ereignet. Die Möbel waren gerutscht, das Geschirr hatte geklirrt. Am Morgen lief vor ihrer Wohnung ein kleiner, aber langer Riss diagonal über die Straße. Das Wasser des Sees hatte geschwappt, einige Jollen aus ihrer Verankerung gerissen und ans Ufer getragen. Clara, ihre Tochter, war weinend aufgewacht und zu ihr ins Bett geschlüpft. Sie hatte sich mächtigerschrocken. Aber das Erdbeben selbst war harmlos, verglichen mit dem Vulkanausbruch, der ihm möglicherweise folgen konnte.
    Als Franziska den See ablief, die aufgekratzte Tochter an der Hand, konnte sie überall Zeichen der Erdstöße sehen: umgestürzte Bäume, feine Risse im Boden – und die Blasen, die größer, in größerer Anzahl und schneller als gewöhnlich aus dem See stiegen.
    Franziska maß die Stärke des Gasaustritts, Clara spazierte am See entlang, und als sie zurückkam, war ihre sonst so lebhafte Tochter plötzlich ganz still geworden. Und so blieb es dann. Den ganzen restlichen Tag saß das Kind verschüchtert herum, starrte in die Luft, brachte kaum den Mund auf. Und das bei einem Kind, das man normalerweise praktisch festbinden musste, wenn man in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken wollte!
    Clara wirkte noch immer verstört, als Franziska sie ins Bett brachte. Irgendetwas hatte die Kleine erschreckt – nur was?
    Franziska legte die rechte Hand flach auf die Tischplatte, hob den Zeige- und den Mittelfinger leicht an und klopfte jeweils zweimal mit den Nägeln auf das Holz. Nicht einmal, nicht dreimal – stets zweimal, das war ein richtiger Tick von ihr; sie tat das immer, wenn sie nachdenken musste oder nervös war.
    Hinter Franziska ging die Tür auf. Clara kam herein, rieb sich die Augen.
    »Mama, ich kann nicht schlafen!«
    »Was ist denn?«
    »Ich träume so schlecht!«
    »Hast du Angst davor, dass die Erde wieder wackelt?«
    »Gibt es denn noch einmal ein Erdbeben?«, wollte Clara wissen. »Das kann man nicht sagen. Hast du dich sehr erschreckt?«
    Clara spielte die Tapfere, obwohl sie laut geschrien hatte, als ihre Bilderbücher aus dem Regal gehüpft waren. »Nein, das war lustig!«
    »Wovor hast du dann Angst?«
    »Vor dem Teufel …!«
    »Vor dem Teufel?«
    »Im See ist der Teufel herausgekommen, und der hat gestunken.« Sie hielt sich die Nase zu.
    Franziska erinnerte sich daran, dass Clara während ihrer Messungen allein am Ufer weiterspaziert war. Ihre Tochter kannte die Stelle, deshalb hatte sie sich nichts dabei gedacht. Aber als Clara zu ihr zurückgerannt kam, hatte sie so seltsam geblickt – und
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