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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava
Autoren: Ulrich Magin
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garantierte ihm bei dieser Aktion eine Vorzugsbehandlung. MacGinnis sprach öfter mit ihm alsmit den anderen; manchmal wirkte es auf Hutter sogar so, als öffnete sich MacGinnis ihm ein wenig. Aber natürlich waren auch die anderen im Team wichtig.
    Andrew Neal, ein Zweimetermann, kam herein, die Tasche wie üblich voll mit Probengläschen. Er entnahm an bestimmten Stellen jeweils zur gleichen Uhrzeit Wasser, verpackte die Proben und schickte sie zur Analyse nach Koblenz. Er untersuchte die Seeufer und zählte die Zahl der toten Fische, die angeschwemmt worden waren. Heute hatte er keine gefunden, ein gutes Zeichen. Er achtete auf die Enten, Schwäne und Blesshühner – zeigten sie ein ungewöhnliches Verhalten, wirkten sie schlapper oder kränker als sonst? All das konnten Hinweise sein. Auch die toten Fische und – vorgestern – eine tote Ente wurden zur Untersuchung an ein Labor geschickt. Bis jetzt waren sie immer an natürlichen Ursachen gestorben.
    Neal stammte wie Joe Hutter aus Schottland, allerdings nicht aus der größeren Stadt Inverness – er hatte in Glasgow studiert, kam irgendwo aus dem hohen Norden, aus der Gegend der Isle of Skye, wo man bis vor ein paar Jahren noch den Sabbat geehrt hatte, wo sonntags keine Fähre fuhr und keine Kneipe öffnete.
    Der andere im Team, der Nordengländer, ein Computerspezialist, stammte – aus Nordengland eben. Er redete wenig, und niemand sprach viel mit ihm.
    Über zehn Minuten lang hatte MacGinnis sie an diesem Morgen mit einem Vortrag über Geheimhaltung drangsaliert: Niemand darf wissen, dass wir hier sind. Niemand darf wissen, warum wir hier sind. Und: Keine Freundschaften außerhalb des Teams.
    Und innerhalb des Teams am besten auch nicht, dachte Joe.
    Dann trat er den nächsten virtuellen Tauchgang an.Es ist wie beim Schachspiel, das sagte Gerd Schmidtdresdner seine Erfahrung: Am wichtigsten sind Strategie und Überraschung. Du musst dem Gegner immer voraus sein, stets bereits drei Schritte weiter in die Zukunft planen als er. Alles war bestens überlegt und vorbereitet. Er hatte ein Setting geschaffen, das den Mann überraschen würde. So konnte er strategisch vorgehen und durch gezielte, getarnte Fragen mehr in Erfahrung bringen, als er schon wusste. Er hatte, so stellte er zufrieden fest, die Karten perfekt gemischt.
    Sie hatten sich in einer Bar im Bahnhofsviertel verabredet. Die Scheiben waren schon ganz stumpf vom Rauch, Licht floss nur zögerlich hinein. Mit dem Nichtraucherschutz ging der Wirt recht lässig um. Auf dem Tisch wellte sich eine vergilbte alte Decke. Sie war schmutzig, übersät von Brandlöchern, die Generationen von Zigaretten darauf hinterlassen hatten.
    Es bereitete Schmidtdresdner Vergnügen sich auszumalen, wie sein Auftraggeber sich in dieser schmuddeligen Umgebung verhalten würde. Der sprach immer, als habe er eine heiße Kartoffel im Mund. So ein feiner Pinkel, ohne Probleme, jemand, der mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen war. Er kommt bestimmt im Maßanzug, zugeknöpft, steif. Wissen Sie, wird er sagen, dachte Schmidtdresdner amüsiert, ich bin sonst eher selten in solchen Bars.
    Die Kneipe war gut besucht, trotzdem befand sich unter diesen Schnapsnasen kein Zeuge, den ein Gericht gerne befragen wollte. Das waren heruntergekommene Typen, unglaubwürdig. Falls sie in ihrem Suff überhaupt etwas mitbekamen.
    Der Mann wird Wein bestellen und Bier bekommen. Nestelt dann nervös an seiner Krawatte. »Den Wein, den Sie gewöhnlich trinken, werden Sie hier nicht bekommen«, wollte Schmidtdresdner ihn dann süffisant necken. Er musste unbedingt die Oberhand behalten.
    Gerd Schmidtdresdner lächelte zufrieden, als er wartete und sich all das vorstellte.
    Er zog eine Zeitung aus seiner Tasche, legte sie auf den Tisch und strich sie glatt. Danach blätterte er bis zum Sportteil vor. Alles sollte ganz natürlich aussehen. Er tat so, als sei er nur deshalb in die Kneipe gekommen, um die Zeitung zu lesen. Aber er wartete.
    Doch er konnte sich nicht auf die Sportmeldungen konzentrieren. Und je länger er auf seinen Auftraggeber wartete, desto wütender wurde er.
    Er wartete, bis es draußen dunkel geworden war.
    Der Mann kam nicht, versetzte ihn.
    »Verzeihung, sind Sie Gerd Schmidtdresdner?«
    Die Stimme klang anders als am Telefon und merkwürdig vertraut. Da stand nicht der Mann, es war der Kellner mit einem großen braunen Umschlag.
    »Das ist eben für Sie abgegeben worden.«
    Schmidtdresdner griff nach dem Umschlag und
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