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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava
Autoren: Ulrich Magin
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der Erinnerung der Menschen, vor allem nicht bei den Medien. Was sicher auch kein so einfaches Unterfangen würde, wenn er daran dachte, dass irgendwann der Schwerlastkran aufgestellt werden musste, dass man den Touristen irgendeine Geschichte vorsetzen musste, dass eigentlich niemand außer der deutschen Regierung, der britischen Regierung und ihrem Dienst je erfahren durfte, was geschehen war.
    We’ve lost control again, dachte Joe, there’s no control again.
    »Nun hören Sie mal, was ich Ihnen an Musik vorspielen werde!« MacGinnis zeigte mit dem erhobenen Zeigefinger in die Luft wie ein Oberlehrer. Er beugte sich über seinen Laptop und wählte die betreffende MP3-File.
    Zuerst hörte Joe nichts. Das Bild des Monitors wurde auf eine Leinwand projiziert. Dort erkannte er parallele Striche, die zuerst ganz sanfte Zacken ausbildeten. Dann wurden die Zacken wie bei einem EKG immer deutlicher, schossen in Ober- und Unterlängen. Und da hörte er die Musik, die MacGinnis abspielte.
    Es war zuerst nur ein leiser und brummender Ton, dann ein knurrender, immer lauter werdender langgezogener und jaulender, fast klagender Laut.
    »Walgesänge?«, fragte Joe. »Sind wir jetzt bei Greenpeace?«
    »Nein, es gibt in deutschen Seen keine Wale«, antwortete MacGinnis mit finsterer Stimme und ohne eine Miene zu verziehen, so, als hätte Joe seinen Einwurf tatsächlich ernst gemeint.
    Nun begannen auch Joes Kollegen zu tuscheln. Sie waren zu dritt, eine kleine Gruppe unter MacGinnis, dem erfahrenen Leiter, der schon so manche heikle Mission mit Bravour erfüllt hatte. Wie viele Menschen mochten ihm sein Leben verdanken? Und wie viele ihren Tod? Joe wusste es nicht, er hatte MacGinnis nie danach gefragt. Vermutlich schlummerte hinter dessen übertrieben harter Oberfläche ein weicher, vielleicht sogar sentimentaler Kern. Aber als Chef mit absoluter Weisungsgewalt konnte er ihn nur dann akzeptieren, wenn er so wenig Privates wie möglich von ihm erfuhr. MacGinnis war ein absoluter Profi, der an den meisten Brandherden der Welt aktiv gewesen war. Es hatte nie ein Gerücht gegeben, zumindest hatte Joe nie davon gehört, dass MacGinnis auch nur ein einziges Mal versagt hatte. Es war sicher, dass MacGinnis ein Geheimnis barg.
    Der klagende Ton wurde immer lauter, als hätte MacGinnis den Tonregler auf die höchste Stufe gestellt, und endete dann plötzlich mit einem kratzenden Geräusch, als zöge man eine Nadel quer über eine alte Vinylplatte. Auf dem Monitor sah man nur noch gerade Linien, die sich ab undan leicht und rundlich hoben, wie das friedliche Atemgeräusch eines Babys.
    Sie alle blickten MacGinnis fragend an.
    »Das«, sagte er in seinem professoralsten Gelehrtenduktus, »waren die hörbaren Schwingungen der Erde. Was hier jault, ist der Laacher Vulkan.«
    Jetzt verstanden sie – es hatte also doch mit dem Auftrag zu tun.
    »Normalerweise«, fuhr der Chef fort, »hören Sie immer ein Hintergrundbrummen oder -rauschen. Was unsere Messinstrumente hier aufgezeichnet haben, ist etwas anderes. Es stammt von vorgestern, von dem Tag vor dem Erdbeben, ist also noch sehr frisch. Heute haben wir nur ein Rauschen aufzeichnen können. Aber dieser kleine Tonausbruch ist unseren Experten wohlvertraut. So hört sich ein Vulkan an, kurz bevor er ausbricht. Das könnte uns hier auch bevorstehen. Wann genau, können wir aber nicht sagen. Es kann noch Monate dauern oder Wochen oder Tage. Sie wissen, was das bedeutet.«
    Sie wussten es: Die Zeit wurde vielleicht bald schon knapp.
    Jetzt musste Joe Hutter funktionieren. Jeder Fehler war fatal, Emotionen fehl am Platz. Die Schwere der Aufgabe und die möglichen Konsequenzen durften ihn nicht beirren. Es hing so viel davon ab, das Flugzeug zu finden und es zu bergen. Jeder Fehler, hämmerte er sich immer wieder ein, jede Verzögerung könnte den Tod von Hunderttausenden Menschen verursachen.
    Hutter bewunderte MacGinnis – nicht dafür, was er sein Leben lang getan hatte, das waren vermutlich Schweinereien gewesen, die man sich gar nicht vorstellen wollte, sondern wie er es getan hatte. Hutter konnte es jeden Tag ganz deutlich an seinem Chef beobachten: Er war nüchtern, fast kalt, aber immer ganz bei der Sache. Kühl, dennoch mit Feuereifer.Da lag ein Knistern im Raum. Schaute er nicht immer so missmutig drein, als wäre er gerade beleidigt worden, hätte man das Gefühl haben können, er habe überhaupt keine Emotionen. Doch MacGinnis blickte selbst dann missmutig, wenn sie einen Erfolg
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