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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava
Autoren: Ulrich Magin
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riss ihn sofort auf. »Von wem denn?« Er sah zu dem Mann hoch.
    Der Kellner zuckte mit den Schultern. »Wie soll er schon ausgesehen haben?«, maulte er. »War ’n Mann eben.«
    »Ein Ausländer?« Schmidtdresdner stand halb auf, stützte seine geballten Fäuste auf die Tischkante. »War es ein Ausländer?«
    »Keine Ahnung.« Den Kellner ließ Schmidtdresdners Gefühlsausbruch kalt, er reagierte mit Gleichgültigkeit. »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Mann war sehr kurz angebunden.«
    Gerd Schmidtdresdner versuchte erst gar nicht, dem Kellner einen Geldschein zuzustecken – es fruchtete vermutlich ohnehin nichts. Der Mann wusste nicht mehr, er tat nicht nur so. Eine reine Geldverschwendung, seiner Erinnerung nachhelfen zu wollen.
    Sie sahen sich eine Sekunde gelangweilt in die Augen.Dann drehte sich der Ober um und stapfte fort. Das ging ihn alles nichts an.
    Schmidtdresdner betrachtete den Inhalt des Umschlags. Es handelte sich um Anweisungen. Und ein Bündel Geld. Solche Summen überweist man nicht einfach. Sonst ließen sich die Transaktionen zurückverfolgen. Solche Beträge wechseln, in Umschläge verpackt, den Besitzer.
    Die Leute am Nachbartisch lachten laut auf, einer bestellte noch ein Bier. Schmidtdresdner spähte zu ihnen hinüber. Nein, sie hatten nichts bemerkt.
    Schmidtdresdner stopfte den Umschlag in seine Jackentasche und sprang plötzlich auf. Er eilte zum Ausgang der Kneipe, lief heraus auf die Straße. Er suchte sie ab, vom Kiosk über Dennis Computershop bis zum 99-Cent-Laden.
    Doch im Gewühl, das unter den Straßenlichtern dahinhuschte, fand er niemand, der sein geheimnisvoller Auftraggeber hätte sein können.
    Er trat mit den Fuß gegen einen Laternenmast.
    Schmidtdresdner war wütend. Hätte er gewusst, was die nächsten Tage noch bringen würden, er hätte sich seine Wut aufgespart, für später.

2
    »She’s lost control again, she’s lost control.«
    Der Raum war spartanisch eingerichtet: ein großer Konferenztisch, mehrere Bürostühle, Seitentische entlang der Wände für die technischen Apparate. An den Wänden hingen großformatige Konstruktionszeichnungen verschiedener altmodischer Flugzeugtypen, bei denen einzelne Stellen mit Rotstift markiert waren, mit kleinen Berechnungen oder Sachinformationen, die jemand daneben gekritzelt hatte.
    »She’s lost control …«
    Joe Hutter sah seine beiden Kollegen kurz an. Als sie nickten, drehte er die Lautsprecher noch weiter auf und tänzelte leicht zu den harten Rhythmen der Musik. Er stand vor den Risszeichnungen eines englischen Bombers und zeichnete Sollbruchstellen und potenzielle Bruchstellen ein.
    Seine Kollegen machten ihre Auswertungen, wippten mit den Füßen mit und hörten nicht, als MacGinnis eintrat und die Stirn kraus zog.
    Er ging geradewegs zu seinem Platz, ließ seinen massigen Körper auf einen Bürostuhl fallen und strich sich dann erst einmal andächtig durch den rotblonden Vollbart, der struppig in alle Richtungen abstand wie bei einem alten Seebär, bis er sich sicher war, dass er die Aufmerksamkeit aller hatte. Er wischte sich die Schweißperlen aus der Stirn, neigte sich dann seufzend nach vorn und klappte seinen Laptop auf.
    »… lost control again …«
    »Wer hat diesen Lärm angestellt, und wer macht diesen Krach wieder aus?« Reginald MacGinnis wirkte fast nochmissmutiger als sonst. Wahrscheinlich war er wieder die halbe Nacht zu einem angeblich guten französischen Restaurant gefahren, hatte aber seiner Meinung nach nur durchschnittliches Essen erhalten.
    Joe Hutter schmunzelte. Die Szene erinnerte ihn an viele ähnliche, die sich bei ihm zu Hause abgespielt hatten, wenn sein ernster, calvinistischer Vater ihn wegen seiner Punkmusik getadelt hatte. Musik machte fröhlich, also war Musik strikt verboten. Er hatte seinen Vater, Gott habe ihn selig, niemals lachen gesehen – aber oft schreien, er solle diese teuflische Musik sofort abschalten.
    »Das ist kein Krach, das ist Joy Division«, wehrte sich Joe Hutter halbherzig. Er erhaschte einen Blick auf MacGinnis’ breites, ledriges Gesicht mit den tiefsitzenden, wachen Augen und dem wirren roten Vollbart, eilte zum Player und schaltete die Musik ab. Man widersprach dem Chef nicht.
    Vermutlich wollte MacGinnis kein Lied über Kontrollverlust hören. Es ging ja im Gegenteil darum, völlige Kontrolle über die Situation zu erlangen, das Problem schnell, effektiv und professionell zu lösen – und keine Spuren zu hinterlassen, nicht im Gelände, nicht in
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