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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava
Autoren: Ulrich Magin
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Wunde zu picken, stob aber auf und flog davon, als ihr das Feuer zu nahe kam. Sie gesellte sich zu den anderen ihrer Schar, die kreischend weite Kreise über dem Meer zogen.
    Der erste Mann gab den anderen ein Signal, und alle drei drehten der Qualmsäule den Rücken zu.
    Wenn das so weitergeht, wird es Zeit, dachte der Mann mit dem Notizblock, dass unsere Spezialanfertigungen endlich eintreffen. Wir brauchen bald die Verbrennungsöfen.
    Die Männer gingen bedächtig bis zu der Seite der Insel, die dem Festland zugewandt war, und luden dort ein weiteres verendetes Tier auf den Karren. Es blickte sie seltsam gläsern an, es musste eben gerade gestorben sein. So viele waren es an einem einzigen Tag noch nie gewesen! Der eine Mannschüttelte verwundert den Kopf, zog seinen Block hervor, schrieb die Nummer ab, die mit blauer Farbe auf das Schaffell gemalt worden war, und trug das Sterbedatum und die Uhrzeit ein. Wieder wandten die Arbeiter sich der Säule aus Feuer und Rauch zu, die wie ein Wegweiser über ihnen stand. Die Räder des Karrens versanken in einem Schlammloch, doch zu dritt schafften sie es, das Fuhrwerk wieder flott zu machen und zum Inselberg zu ziehen, zum Scheiterhaufen.
    Sie kippten das Schaf auf den brennenden Holzstapel. Es fing Feuer, sein Kopf trennte sich vom Körper und rollte den Haufen hinab. Einer der Männer trat ihn mit dem linken Fuß in die Flammen zurück.
    Er spähte nach oben in den Himmel und meinte, heute könne trotz des Nieselregens doch noch ein schöner Tag werden, gut, um abends angeln zu gehen, da sah er, dass die beiden anderen entsetzt in die bleckenden Flammen starrten.
    »What’s that?«
    Der Mann im Schutzanzug prallte förmlich zurück vor dem, was er sah.
    Etwas geschah, was ihre schon ungewöhnliche Arbeit noch ungewöhnlicher machte.
    Das Schaf verfärbte sich, nicht schwarz, wie die anderen Schafe, nicht aschgrau, nein, es durchlief alle Regenbogenfarben; die Sehnen und Muskeln, das Fell und der Kopf schäumten auf und vernichteten sich in einem Augenblick selbst. Es sah so aus, als stülpe sich das tote Tier von innen nach außen, als explodiere es und als würde gleichzeitig das Äußere nach innen gezogen.
    Derjenige der Männer, der zuvor alle Tode in sein Notizbuch eingetragen hatte, holte mühsam eine Kamera mit Farbfilm aus seinem Umhang, um die Szene zu dokumentieren. Die Kamera schnurrte wie eine Katze, die sich auf dem Kaminsims ausruht, und fing die Bilder ein, die sich vor ihr abspielten. Möwen lachten.
    »Wir müssen hier weg!«
    »Wir müssen Vollum verständigen!«
    »Was geschieht hier?«
    Was immer sich vor ihren Augen abspielte – es war kein Milzbrand.
    Der Mann mit der Kamera eilte, so schnell er konnte, auf einen kleinen Schuppen zu, um zum Feldtelefon zu gelangen. Doch er kam dort nicht an.
    Er röchelte, er stolperte, er fiel auf den Moorboden, mitten in eine Pfütze, zuckte noch, aber eher automatisch, nicht so, als sei noch Leben in ihm, dann sackte sein Schutzanzug in sich zusammen.
    Als einer der wachhabenden Soldaten ihn wenig später fand, konnte er die flachen Überreste der beiden anderen sehen, auf dem Boden ausgestreckt, nicht weit von dem ersten Mann entfernt. Dann begann auch er zu husten, er krümmte sich, hielt sich den Bauch, stürzte zu Boden und schlug auf einem Gneisbrocken auf. Der war scharfkantig genug, um seinen Schutzanzug zu zerreißen, doch da war längst nichts mehr im Schutzanzug, was auf den Soldaten hingedeutet hätte, und auch der Schutzanzug zerfraß sich wie von selbst.
    Am Horizont bauschten sich große, graue Wolkenberge auf, eine Wand aus triefend nasser Wolle, ein weiterer Ausläufer eines Atlantiktiefs, das seine Fluten auf die Insel entladen sollte. Die Möwen zogen aufs offene Meer, und weiter draußen sprang ein Delfin aus den Wogen, bis er ganz über dem Wasser war, drehte sich dann und glitt in die Meerestiefen zurück. Die Schafe spürten das aufziehende Unwetter und drängten sich dichter zusammen. Sie blökten ängstlich, als der erste Blitz durch den schwarzen Himmel fuhr.
    Die Ablösung der Mannschaft kam, als der Regen aufhörte.

TEIL I

    Die Erde wirft Blasen wie das Wasser.
    (William Shakespeare: Macbeth )

1
    Heute
    Der Laacher See, ein stilles Gewässer am östlichen Rande der nördlichen Eifel, imponiert nicht durch seine Größe, wie etwa der Bodensee oder der Genfer See, er beeindruckt auch nicht durch grandiose, steil ins Wasser abfallende Klippen oder schroffe Berge wie der Gardasee oder
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