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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava
Autoren: Ulrich Magin
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Rhein. Vor 13 000 Jahren war der Laacher See, ein Supervulkan, in einer der gewaltigsten Explosionen in der Geschichte der Menschheit geborsten, und noch viertausend Jahre später brach ein Vulkan dort aus, wo sich heute das Maar von Ulmen befindet.
    Und gerade eben, in diesem Augenblick, bereitete sich der Laacher See mit der ihm eigenen, von den Geologen in Jahrtausenden gemessenen Geschwindigkeit auf eine neue Eruption vor.
    Sicher, in der vergangenen Nacht hatte heftig die Erde gebebt, so heftig wie seit Menschengedenken nicht mehr, und die Anrainer aus ihrem wohlverdienten Schlaf gerissen. Und dennoch ahnten die Menschen nichts von den Vorgängen unter ihren Füßen. Sie schlenderten den Uferweg entlang, fütterten die Enten mit Brotresten, blinzelten müde in die Sonne, saßen auf Holzbänken und blickten schläfrig auf das Wasser, stiegen aus Bussen und Autos, erzählten, scherzten, küssten sich oder stritten sich, joggten oder lasen Zeitung – ganz gleich, was sie gerade taten, an einem zweifelten sie alle nicht: dass der Laacher See ein stilles, idyllisches, friedliches Gewässer war.
    Manche Katastrophen brechen plötzlich herein, ohne Vorwarnung.
    Franziska Jansen war die Jüngste und erst seit kurzem in der Fachschaft gewesen. Sie hatte als Erste gehen müssen. Die Uni wollte Elite-Uni werden – mit marktorientierter Forschung. Wer braucht da eine Vulkanologin, die gerade erst ein halbes Jahr zuvor das Studium abgeschlossen hatte? Also wurde sie entlassen.
    Sie durchlief die üblichen Stadien: Verzweiflung, Trauer, dann friedvolle Akzeptanz des Zustands, schließlich vorsichtig skeptischer Optimismus. Es dauerte über sechs Monate, bis sie wieder das Gefühl hatte, auf eigenen Beinen zu stehen.
    Dann merkte sie, dass sie schwanger war. Und noch während der Schwangerschaft fand sie heraus, dass sie die Hormone zwar betäuben, nicht aber darüber hinwegtäuschen konnten, dass sie und der Vater ihres Kindes viel zu unterschiedlicheVorstellungen über ein gemeinsames Leben hatten. Sie entdeckte, dass die Überstunden ihres Mannes mit einer Kollegin tatsächlich stattfanden, aber sich meistens in der Horizontalen abspielten. Dann kamen die geheimnisvollen Anrufe, die Frau, die sich angeblich verwählt hatte, wenn sie ans Telefon ging, unverhoffte Geschäftstermine ihres Partners, seine stockenden, ausweichenden Entschuldigungen.
    Als ihre Tochter Clara auf die Welt kam, war Franziska wieder allein.
    Mittlerweile war Clara ein kluges, artiges, aufgewecktes Mädchen – vielleicht sogar zu artig; sicher weil Franziska ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit ausschließlich ihr gewidmet hatte.
    Nach ihrer Entlassung stand Franziska erst einmal auf der Straße. Einer Vulkanologin stehen nicht allzu viele Arbeitsplätze zur Verfügung, und wer nicht so abenteuerlustig war, nach Mittel- oder Südamerika oder Afrika zu gehen – und mit einem sechs Monate alten Kind ist man selten abenteuerlustig –, der kann nur darauf hoffen, dass irgendwo an einer der wenigen Universitäten in Deutschland etwas frei wird. Oder in der Privatwirtschaft – Franziskas Chance war ein Vulkanpark, der Forschung, Tourismus und Entertainment verband, das ScienceCenter Eifel.
    Sie hatte den Job angenommen, weil er sich gerade bot; sie durfte nicht allzu wählerisch sein. Überhaupt fand sie es am einfachsten, sich treiben zu lassen, abzuwarten, bis eine Chance sich bot. Und die Kraft, die alle anderen dafür verbrauchten, Pläne zu schmieden, die dann doch misslangen, weil man eben nicht alles beeinflussen kann, nutzte sie dazu, Möglichkeiten optimal zu ergreifen.
    Seit viereinhalb Jahren arbeitete Franziska nun im Science-Center. Sie mochte ihren Job und erledigte ihre Aufgaben gewissenhaft und gern. Sie fühlte sich wohl. Hier forschtenGeologen und Vulkanologen, aber ein großer Teil ihrer Tätigkeit bestand darin, den Touristen die Eifelvulkane näherzubringen. Dafür flossen Mittel von Bund und Ländern, es war eine der typischen Ehen, die Wissenschaftler mit dem Kommerz eingehen, um forschen zu können.
    Also führte Franziska – neben ihrer eigentlichen, wissenschaftlichen Arbeit über den letzten großen Ausbruch des Laacher Sees – Touristen durch die Eifel. Eine Tour umfasste gewöhnlich den Besuch der drei Gmündener Maare, dann das Pulver- oder Totenmaar mit seiner romantisch am See gelegenen weißgetünchten Kapelle, den Geysir von Wallenborn und schließlich als Höhepunkt den Laacher See. Wie oft schon hatte sie den
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