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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes
Autoren: Reginald Hill
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wäre.
    Seine Entscheidung ist gefallen. Phillips, ein guter, nobler Mensch, Oberhaupt einer glücklichen Familie und vorbildlicher Vater.
    Als Kopfzeile der Seite kritzelt er
An Mr. Revell Phillips, The Middle Temple, London
, und beginnt zu schreiben, hält nur von Zeit zu Zeit inne, um am Wein zu nippen.
    Draußen stirbt der Tag einen jungen Tod.
    Mein lieber Phillips,
    ich bin Speise derer, derer ich wert bin – der Würmer.
    Speise derer … derer ich wert bin … könnte ich noch gebrauchen. Eine Notiz machen? Lohnt sich kaum noch! Der Nachhall von Hotspurs letzten Worten lenkt seine Gedanken zu Konrad. Er wischt sie beiseite.
    Ich habe ein Testament aufgesetzt, von dem ich wünsche, dass es respektiert wird, und füge eine Spende von £ 20 an Dr. Ecklin, meinen Arzt, bei.
    W. Beddoes muss eine Kiste (50 Bouteillen) 1847er Champagne Moët haben, mit denen er auf
    Er hält inne. Meine Gesundheit? Kaum. Dann lächelt er und fährt fort:
    meinen Tod anstoßen soll.
    Dank für die erwiesenen Freundlichkeiten. Nehmen Sie sich die £ 200. Sie sind ein guter & ehrenwerter Mann, & Ihre Kinder müssen aufpassen, dass sie so werden wie Sie.
    Ihr,
    wenngleich mein eigener,
    T. L. B.
    Er wirft den Stift hin.
    Es ist vorbei.
    Doch der abtretende Schauspieler verlässt nicht die Bühne, ohne viele Blicke zurückzuwerfen, und der abtretende Sänger kann nie einer nochmaligen letzten Zugabe widerstehen, und ein wirklicher Schriftsteller kann niemals abtreten.
    Also nimmt er erneut den Stift zur Hand und kritzelt einige weitere Zeilen.
    Alles Liebe an Anna, Henry, die Beddoes in Longvill und an Zoe und Emmeline King –
    Jemanden vergessen? Natürlich, den Wichtigsten überhaupt.
    und auch an Kelsall, den ich bitte, einen Blick auf meine Manuskripte zu werfen und alles in Druck zu geben, was ihm dafür geeignet erscheint. Ich sollte, unter anderem, ein guter Dichter gewesen sein. Das Leben ist auf einem Bein, und einem schlechten noch dazu, eine zu große Last.
     
    Ein wenig selbstbemitleidend das? Vielleicht. Schließe mit einem Scherz, das ist die wahre Natur des Todes! Er windet sich, als sich seine Eingeweide unter der Wirkung des Giftes verkrampfen. Dann lächelt er wieder. Ein kleiner medizinischer Witz zum Abschluss.
    Kaufen Sie für den oben erwähnten Dr. Ecklin eine von Reades besten Magenpumpen.
    Vielleicht sollte er das noch ausführen, aber er spürt, wie ihm der Stift in der Hand und die Lider schwer werden.
    Er legt den Stift zur Seite, nimmt das Blatt und heftet es sorgfältig an sein Hemd. Er trinkt das Weinglas aus und hüpft durch das Zimmer zu seinem Bett, auf dem er sich auf dem Rücken liegend ausbreitet.
    Mittlerweile ist es draußen ziemlich dunkel. Oder gehört die Dunkelheit nur ihm? Er weiß es nicht. Seine Gedanken durchschreiten sein Leben, seine hehren Hoffnungen – für sich, für die Menschheit – und deren großartiges Scheitern, das in diesem Moment des Abtretens irgendwie gar nicht so großartig erscheint. Fantastische Bilder kreiseln durch sein Gehirn, instinktiv versucht er sie zu greifen und in einem Netz aus Worten zu fangen. Nun sieht er den Tod, nicht auf dem Grabstein, auf der Bühne, der gedruckten Seite, sondern wirklich und wahrhaftig vor sich stehen und weiß, dass die vielen Tausend Worte, die er gebraucht hat, um ihn zu beschreiben – die Splitter zerbrochenen Glases, die Asche eines verbrannten Bildes, der Nachhall einer fernen Melodie –, völlig unzureichend waren. Könnte er jetzt seinen Stift erheben, könnte er vielleicht doch noch mehr als ein guter, er könnte ein großer Dichter werden.
    Ist es zu spät? Wer weiß? Kann der Tod so gut einstecken, wie er austeilen kann?
    Seine Lippen teilen sich, die kollabierenden Lungen mühen sich, um sich wieder zu öffnen und die lebensspendende Luft einzusaugen. Aber es fehlt ihm an Kraft. Der Schwank des Todes neigt sich seinem Ende zu.
    So gibt Thomas Lovell Beddoes seinen letzten Atemzug von sich, der die Worte mit sich trägt:
    »Holt die Kuh … holt die Kuh …«

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Über Reginald Hill
    Reginald Hill, geboren 1936, lebt seit vielen Jahren in der englischen Grafschaft Yorkshire, wo die allermeisten seiner Romane auch spielen. Er hat sich den Ruf erworben, »einer der herausragenden lebenden Krimiautoren« zu sein (Sunday Telegraph) und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Diamond Dagger der britischen Crime Writers’ Association, den er für sein Lebenswerk erhielt.

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