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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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zu können.
    «Haben Sie nie daran gedacht, ihm ein anderes Ende zu geben, in dem wir die Marsbewohner besiegen?», riss ihn Serviss aus seinen Gedanken.
    «Was?», rief Wells empört. «Was hätten wir auf Erden wohl der Technologie vom Mars, wie ich sie beschreibe, entgegenzusetzen gehabt?»
    Serviss zuckte die Schultern. Darauf hatte er auch keine Antwort.
    «Nun, ich habe es jedenfalls für meine Pflicht gehalten, eine Alternative aufzuzeigen, einen Hoffnungsschimmer …», murmelte er schließlich und ließ mit traurigem Lächeln den Blick durch das vollbesetzte Lokal schweifen. «Ich würde, genau wie alle hier, gerne glauben, dass wir im Falle einer Invasion von den Sternen wenigstens eine kleine Überlebenschance hätten.»
    «Vielleicht gibt es die ja», räumte Wells ein. «Doch mein Vertrauen in die Menschheit ist einfach zu wenig ausgeprägt, Garrett. Falls sich eine Möglichkeit findet, die Marsbewohner zu besiegen, wird das nicht unser Verdienst sein, davon bin ich überzeugt. Vielleicht ergibt sich eine dort, wo wir es am wenigsten erwarten. Davon abgesehen; warum bereitet Ihnen das solche Sorgen? Sind Sie so sicher, dass unsere Nachbarn vom Mars uns überfallen werden?», scherzte Wells.
    «Aber natürlich, ganz gewiss, George», erwiderte Serviss ernst. «Ich nehme allerdings an, dass dies erst nach dem Jahr 2000 passieren wird. Bis dahin müssen wir uns ja noch um die Roboter kümmern.»
    «Die Roboter? Ach ja, klar …, die Roboter.»
    «Doch früher oder später werden sie uns angreifen, davon bin ich überzeugt», beharrte Serviss. «Oder glauben Sie nicht, dass die Marskanäle von intelligenten Wesen gegraben worden sind, wie Lowell es in seinem Buch behauptet?»
    Wells hatte das Buch
Mars
von Percival Lowell, in dem diese These vertreten wurde, natürlich gelesen; er hatte sich ihrer sogar bedient, um seinen eigenen Roman wissenschaftlich zu unterfüttern. Doch von da bis zum Glauben an ein Leben auf dem Mars war es doch ein weiter Weg.
    «Ich kann mir vorstellen, dass die Millionen und Abermillionen Planeten des Universums nicht nur eine dekorative Aufgabe haben», antwortete Wells, der das Debattieren über die Existenz von Leben in anderen Welten für eine fruchtlose Übung hielt, «und dass man vernünftigerweise davon ausgeht, dass auf Hunderten von ihnen Bedingungen herrschen, die Leben ermöglichen. Doch wenn wir uns speziell an den Mars halten wollen …»
    «Da muss es nicht einmal Sauerstoff oder Wasser geben», warf Serviss aufgeregt ein. «Auf unserem eigenen Planeten gibt es Lebewesen, wie die anaerobischen Bakterien, die ohne Sauerstoff auskommen. Das verdoppelt die Zahl der Planeten, auf denen Leben möglich wäre. Ich möchte behaupten, dass auf hunderttausend von ihnen Zivilisationen existieren, die höher entwickelt sind als unsere, George. Und ich bin sicher, dass kommende Generationen unerwartetes und überschäumendes Leben auf den Planeten des Himmels entdecken und resigniert feststellen werden, dass wir nicht die einzige und gewiss auch nicht die älteste Intelligenz im Kosmos sind. Wir selbst werden das allerdings wohl nicht mehr erleben.»
    «Ich stimme Ihnen zu, Garrett», entgegnete Wells. «Aber ich bin auch davon überzeugt, dass dieses sogenannte Leben absolut nichts mit unserer Vorstellung von Leben zu tun hat. Es zu verstehen, würde uns ungefähr so schwerfallen wie einem Hund das Funktionieren einer Lokomotive zu erklären. Gut möglich, zum Beispiel, dass ihr Existenzbegriff vollkommen frei ist von dem Wunsch, den Weltraum zu erforschen; da mögen wir Erdlinge noch so lange zum Himmel hinaufstarren und uns fragen, ob wir allein im Universum sind. Eine Frage, die sich ja schon Galileo gestellt hat.»
    «Ja, wobei er sich gehütet hat, sie allzu laut zu stellen, weil er der Kirche nicht noch mehr auf die Füße treten wollte», scherzte Serviss.
    Anmutig wie ein Schmetterling spielte ein Lächeln um Wells’ Lippen. Der Alkohol, stellte dieser fest, hatte seine Gesichtszüge weicher gemacht; weich genug jedenfalls, dass er das Lächeln nicht mehr mit der mürrischen Miene verscheuchen konnte, die er zu Beginn ihrer Unterhaltung aufgesetzt hatte. Zu seiner eigenen Überraschung wollte er das auch gar nicht mehr. Dieses Lächeln hatte Serviss ihm entlockt, also sollte es auch bleiben. Es auszulöschen wäre so, als würde man während eines Florettduells versuchen, seine Wunden zu nähen.
    «Natürlich können wir nicht leugnen, dass der Mensch einen Drang
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