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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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enttäuscht. «Teufel noch eins … Wo war ich stehengeblieben?»
    «Ich glaube, Sie wollten etwas … über das Leben auf dem Mars sagen», half ihm Serviss, der ebenso angelegentlich die Decke betrachtete.
    «Ah, ja, der Mars …», erinnerte sich Wells. «Ich wollte sagen, selbst wenn es dort Leben gäbe, könnte man es vermutlich nicht mit unserem vergleichen, weshalb es ebenso absurd wie lächerlich ist, sich eine Invasionsflotte von Marsraumschiffen vorzustellen.»
    «Nun ja, aber …» Serviss versuchte eine ernste Miene aufzusetzen. «Was wäre, wenn ich Ihnen sagen würde, dass Sie sich irren?»
    «Mich irren? Sie
könnten
mir nicht sagen, dass ich mich irre, mein lieber Garrett.»
    «Es sei denn, ich bewiese Ihnen das Gegenteil, mein lieber George.»
    Wells nickte, und Serviss lehnte sich geheimnisvoll lächelnd zurück.
    «Wissen Sie, in meiner Jugend war ich besessen von der Idee fremden Lebens im All.»
    «Tatsächlich?», entgegnete Wells mit einem dümmlichen Lächeln auf den Lippen, gnädig von Bierdünsten umnebelt.
    «Ja, ich durchforstete Zeitungen, Zeitschriften und alte Berichte auf der Suche nach …», er suchte nach dem richtigen Wort, «Hinweisen. Wussten Sie, beispielsweise, dass 1518 über dem Schiff des Konquistadors Juan de Grijalva etwas erschien, das als eine Art Stern beschrieben wurde, der sich dann, einen Feuerschweif hinter sich her ziehend, entfernte und einen Lichtstrahl auf die Erde warf?»
    «Teufel noch eins, ich hatte ja keine Ahnung!», tat Wells empört.
    Serviss begegnete seinem Spott mit Nachsicht.
    «Ich könnte Ihnen Dutzende ähnlicher Beispiele von der Sichtung fliegender Untertassen nennen, die ich gesammelt habe, George», versicherte Serviss, immer noch milde lächelnd. «Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb ich davon überzeugt bin, dass die Erde schon von Außerirdischen besucht worden ist.»
    «Ach nein? Aus welchem Grund sonst?»
    Serviss beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme zu einem dramatischen Flüstern:
    «Weil ich einen Marsmenschen gesehen habe.»
    «Ha, ha, ha … Wo denn, im Theater? Ist Ihnen einer auf der Straße begegnet? Hält die Königin sich einen als neuestes Maskottchen?»
    «Das ist kein Scherz, George», sagte Serviss, richtete sich wieder auf und schaute ihn freundlich an. «Ich habe einen gesehen.»
    «Sie sind betrunken.»
    «Ich bin nicht betrunken, George. Jedenfalls nicht so, dass ich nicht mehr weiß, was ich sage. Und ich sage Ihnen, ich habe so einen verdammten Marsmenschen gesehen. Mit meinen eigenen Augen. Ich habe ihn sogar berührt, mit diesen Händen», beharrte er, und hob seine Hände wie einst Herodes in Erwartung des Wasserbeckens.
    Einige Sekunden lang betrachtete ihn Wells mit ernster Miene. Dann brach er in heiseres Gelächter aus, eine Art Krächzen, das die Aufmerksamkeit des halben Lokals auf sie lenkte.
    «Sie sind schon ein lustiger Typ, Garrett», sagte er, als er wieder zu sich kam. «Ich verzeihe Ihnen sogar den Roman, mit dem Sie …»
    «Es ist zehn Jahre her, vielleicht auch länger, ich erinnere mich nicht mehr genau», fuhr Serviss unbeirrt fort. «Damals war ich auch in London; ich wollte im Naturgeschichtlichen Museum Dokumente einsehen, die ich für eine Artikelserie benötigte, an der ich gerade schrieb.»
    Als er begriff, das Serviss nicht scherzte, setzte sich Wells gerade auf seinen Stuhl und versuchte aufmerksam zuzuhören, obwohl er das Gefühl hatte, der Boden unter ihm höbe und senke sich, als tränken sie ihr Bier auf einem schwankenden Boot. Und der Mann, der ihm gegenübersaß, hatte einen Marsmenschen gesehen?
    «Wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, war das Museum, das, wie Sie wissen, errichtet wurde, um die zahllosen Knochen und Skelette aufzunehmen, die im Britischen Museum keinen Platz mehr fanden, gerade erst eröffnet worden», fuhr Serviss in träumerischem Ton fort. «Alles war neu und didaktisch hervorragend dargestellt, als wollte man den Besuchern auf geordnete und unterhaltsame Art eine Vorstellung von der Welt vermitteln. In dem Bewusstsein, dass eine ganze Reihe von Forschern ihr Leben oder zumindest ihre Gesundheit riskiert hatten, damit Damen aus dem Westend beim Anblick einer Straße von Killerameisen erschrockene Seufzer ausstoßen konnten, schlenderte ich wie ein dankbarer Flaneur durch die Säle und Bogengänge des Hauses. Aus den Vitrinen lächelten mich die wundersamsten Dinge an und entzündeten in mir einen brennenden Wunsch nach
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