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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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dass er von einem anderen Planten kam?», fragte Wells. «Es hätte sich ja auch um ein deutsches Erzeugnis handeln können, zum Beispiel. Die Deutschen experimentieren ja dauernd …»
    «Nein», fuhr Serviss ihm dazwischen. «Man sah auf den ersten Blick, dass es technisch sehr viel weiter entwickelt war, als die Deutschen es jemals hätten schaffen können, George. Sehr viel weiter entwickelt, ehrlich gesagt, als es auf der ganzen Erde möglich gewesen wäre. Es gab beispielsweise keinen einzigen Hinweis auf einen Dampfmaschinenantrieb. Was die Forscher auf den Gedanken brachte, dass die Maschine aus dem Weltraum kam, lag aber nicht nur an ihrem Aussehen.»
    «Nicht? Woran denn?»
    Serviss machte eine effektvolle Pause und nahm einen Schluck von seinem Bier.
    «Die Maschine wurde ganz in der Nähe der
Annawan
gefunden, einem Schiff, das am 15 . Oktober 1829 in New York zu einer Südpolexpedition aufgebrochen war und irgendwann einfach verschwunden ist. Das Schiff war verbrannt, die ganze Besatzung tot. Die Leichen der Seeleute fanden sich halb im Eis begraben im näheren Umkreis des Schiffs. Die meisten waren völlig verkohlt, aber einige nicht, und deren Gesichter waren eine Fratze des Entsetzens, als hätten sie verzweifelt versucht, dem Feuer zu entkommen …, oder wer weiß welchem unvorstellbaren Schrecken sonst. Es gab auch tote Hunde, einige seltsamerweise mit abgerissenen Gliedmaßen. Ein danteskes Schauspiel, so wie die Mitglieder der Expedition es beschrieben haben. Die eigentliche Entdeckung machten sie erst ein paar Tage später, als sie, ein Stück entfernt und im Eis begraben, den mutmaßlichen Insassen des Fluggeräts ausgruben. Sie haben ihn zusammen mit seinem Flugapparat nach London gebracht. Und es ist kein Deutscher, George, das kann ich Ihnen versichern. Ich wusste es in dem Moment, als ich ihn erblickte.»
    Er legte wieder eine Pause ein und lächelte Wells mit fast mütterlicher Zärtlichkeit an, als wollte er sich für den Schrecken entschuldigen, den er ihm bereitete. Wells wiederum machte ein so erschrockenes Gesicht, wie es seine Betrunkenheit nur zuließ.
    «Wie sah er aus?», fragte er mit dünner Stimme.
    «Natürlich nicht so, wie Sie die Marsmenschen in Ihrem Roman beschreiben, George. Eher kam er mir vor wie eine Art Jack Lightfoot, nur etwas düsterer und höher entwickelt. Sie haben doch von Jack Lightfood gehört, dieser merkwürdigen, hüpfenden Kreatur, die vor ungefähr sechzig Jahren Ihre Stadt in Angst und Schrecken versetzt hat?»
    Wells nickte, begriff aber nicht, welche Ähnlichkeiten es da geben sollte.
    «Ja, es hieß, er hätte Sprungfedern an den Füßen gehabt und deswegen so weite Sprünge machen können, nicht?»
    «Und sei wie aus dem Nichts aufgetaucht, um junge Damen zu erschrecken und sie lüstern am ganzen Körper zu betatschen, bevor er wieder verschwand. Viele haben ihn als diabolisch aussehend beschrieben, mit spitzen Ohren und langen scharfen Krallen.»
    «Vermutlich ein Ergebnis momentaner Hysterie», sagte Wells nachdenklich. «Vielleicht war der Typ bloß ein Zirkusakrobat, der seine Künste in den Dienst seiner Begierden gestellt hat.»
    «Wahrscheinlich, George, wahrscheinlich. Doch was sie dort im Museum hatten, erinnerte mich an dieses Ungeheuer, das damals auf den Titelseiten der Skandalblätter prangte. Als Kind habe ich einige davon gesehen, und sein Aussehen hat mir das Blut in den Adern gefrieren lassen. In meinen schlimmsten Albträumen sehe ich ihn manchmal immer noch. Aber nun, vielleicht empfinde nur ich diese Ähnlichkeit so, weil sie an meine tiefsten Ängste rührt.»
    «Sie wollen damit also sagen …, im Naturgeschichtlichen Museum gibt es einen Marsmenschen?», versuchte Wells das Gehörte auf den Punkt zu bringen.
    «Ja, aber er ist natürlich tot», erwiderte Serviss, als schmälerte das ein wenig die Attraktivität des Fundes. «Im Grunde ist es ein recht uninteressantes, vertrocknetes, menschenähnliches Wesen. Das Einzige, was für eine Überraschung gut sein könnte, wäre das Innere des Flugapparats. Vielleicht würde man darin etwas finden, das auf seine Herkunft schließen ließe; Weltallkarten oder so etwas. Wir dürfen auch nicht vergessen, welchen Fortschritt es für die irdische Wissenschaft bedeuten könnte, wenn man herausfände, wie er funktioniert. Leider hat es noch keiner geschafft, ihn zu öffnen. Ich weiß nicht, ob sie es immer noch versuchen oder ob sie es schon aufgegeben haben und sowohl der Marsmensch
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