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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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eine Antwort.
    «Dass ich eine Invasion vom Mars beschrieben habe, heißt ja nicht, dass ich an ein Leben auf dem Mars glaube, Garrett», erklärte er verdrießlich. «Das war bloß eine Allegorie. Ich habe den Mars als Metapher gewählt, weil er der Gott des Krieges ist, und wegen seiner rötlichen Farbe.»
    «Ah, diese beunruhigende Färbung, die das Eisenoxid im vulkanischen Basalt bewirkt, der die Marsoberfläche wie eine blutige Kruste überzieht», ließ Serviss sein Wissen glänzen.
    «Meine einzige Absicht war, Kritik an der europäischen Kolonialisierung Afrikas zu üben», fuhr Wells, Serviss’ Einwurf ignorierend, fort, «und auf die Gefahren militärischer Forschungen hinzuweisen, in einer Zeit, da Deutschland in einem Maße aufrüstet, das mir, gelinde gesagt, beunruhigend erscheint. Vor allem aber, Garrett, wollte ich den Menschen sagen, dass alles, was uns wichtig ist, ob Wissenschaft oder Religion, vollkommen nutzlos ist angesichts von etwas so Unvorstellbarem wie dem Angriff einer höherentwickelten Spezies.»
    Und dabei hatte er, das klang in seiner Predigt ebenfalls an, gleich ein paar Rechnungen mit der eigenen Vergangenheit beglichen, denn die ersten Ortschaften, die von den Marsbewohnern zerstört wurden, waren Horsell und Addlestone, wo er seine nicht gerade übermäßig glückliche Kindheit verbracht hatte.
    «Das ist Ihnen gelungen, George! Und wie Ihnen das gelungen ist!», erkannte Serviss bewundernd, aber auch ein wenig zögernd an. «Genau aus diesem Grunde musste ich ja meinen Roman schreiben; ich musste den Menschen die Hoffnung zurückgeben, die Sie ihnen verweigert haben.»
    Und diese Hoffnung war Edison?, dachte Wells widerwillig amüsiert und von einem lauen Wohlbefinden durchdrungen, von dem er nicht sagen konnte, ob die geleerten Bierkrüge auf ihrem Tisch der Grund dafür waren oder die bezaubernde Art dieses kleinen Mannes, alles gutzuheißen, was aus seinem Munde kam. Wie dem auch sein mochte; er konnte es nicht leugnen, dieses Treffen, welches er sich sehr viel unerfreulicher vorgestellt hatte, behagte ihm zunehmend. Er wusste nicht wie, aber sie hatten das mit Serviss’ Roman bereits angesprochen, und nichts war passiert. Was hätte auch passieren sollen, sagte er sich, wenn er nicht mehr zustande gebracht hatte, als das Wörtchen «ausgezeichnet» zu stammeln, was wohl kein Mensch als Negativvokabel betrachten konnte. Die Folge war, dass Serviss jetzt glaubte, Wells hielte seinen ganzen Roman dafür; und dieser wiederum fühlte sich viel zu schwach, sein eigenes Wort zu widerlegen. Seit mehreren Minuten schon bewegte sich ihre Unterhaltung in eine ganz andere Richtung; warum auf das alte Thema zurückkommen? Um sich gut zu fühlen, indem er Serviss sagte, was er wirklich von dessen Roman hielt, so wie er es vor drei Jahren mit Murray gemacht hatte? Nein, nicht mit Serviss, sagte er sich und war selbst überrascht. Vielleicht verdiente der Mann eine Lektion, weil er es gewagt hatte, eine Fortsetzung von
Krieg der Welten
zu schreiben; aber Wells verspürte gar kein Bedürfnis, ihm diese Lektion zu erteilen. Jetzt fiel ihm auch ein, wie der offensichtlich unfreiwillige Humor, der das ganze Werk durchzog, ihm beim Lesen ein flüchtiges Lächeln auf die Lippen gezaubert hatte. Und obwohl er das Buch aus Ärger über diese unverhüllte Zurschaustellung von Geistlosigkeit und Torheit mehrere Male gegen die Wand geworfen hatte, hatte er es doch immer wieder aufgehoben und weitergelesen. Die Art, wie Serviss schrieb, weckte eine merkwürdige Sympathie in ihm. Bei seinen delierenden Briefen war es ihm genauso ergangen. Sie landeten zwar alle im Feuer des Kamins, aber lesen musste er sie. Und wie er hier feststellen konnte, weckte ihr Autor, so armselig und missgeleitet er sich auch zeigte, in ihm dasselbe Zartgefühl wie seine Schriften. Das bedeutete, stellte Wells überrascht fest, dass er auf das beabsichtigte vernichtende Urteil leichten Herzens verzichten konnte, weil er dem Mann nicht schaden wollte, und dass er es bei Murray nicht getan hatte, hatte einzig und allein an dem Widerwillen gelegen, den die von diesem Kerl zur Schau gestellte Überheblichkeit bei ihm ausgelöst hatte. Mit einem Mal verstand er, warum er so mitleidlos mit ihm umgegangen war: Unter dem Vorwand, seinen Roman vernichten zu wollen, hatte er in Wirklichkeit das enorme Ego dieses Mannes vernichten wollen. Serviss dagegen war nur ein armer Teufel; viel zu unsicher und verzagt, um irgendein Ego entwickeln
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