Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
ist, wie in Ihrem Fall. Und ich kann Ihnen versichern, meine Bewunderung für Sie ist keine Sache von einem Tag oder einer Woche. Ich bewundere Sie seit … wann? Seit Jahren schon; seit ich
Die Zeitmaschine
gelesen habe. Ein Roman, der umso außergewöhnlicher ist, als es sich um Ihr Erstlingswerk handelt.»
    Wells nickte ergeben und wartete, bis Serviss sich in seiner Haarwuchsmittelverkäufergeschwätzigkeit unterbrechen und einen herzhaften Schluck von seinem Bier nehmen würde. Denn wenn er nicht bald eine Möglichkeit fand, den Wortschwall aufzuhalten und ihm kundzutun, was er von seinem Roman hielt, würde das immer unangenehmer werden, und zwar für sie beide. Doch Serviss schien nicht gewillt, ihm diese Atempause zu gewähren.
    «Und welch glücklicher Zufall, dass kurz nach Erscheinen Ihres Romans tatsächlich eine Möglichkeit gefunden wurde, durch die Zeit zu reisen», sagte er, übertrieben den Kopf schüttelnd, als könne er es immer noch nicht fassen. «Bestimmt sind Sie bei erster Gelegenheit ins Jahr 2000 gereist, um die Entscheidungsschlacht der Menschen gegen die Roboter mitzuerleben, oder?»
    «Nein, eine Zeitreise habe ich nie unternommen», entgegnete Wells, der absolut keine Lust hatte, sich über dieses Thema zu verbreiten.
    «Ach nein? Und warum nicht?», fragte Serviss überrascht.
    Wells antwortete nicht gleich und dachte daran, wie er sich, solange es ZEITREISEN MURRAY gegeben hatte, stets eisige Zurückhaltung hatte auferlegen müssen, wenn ihn jemand mit faszinierter Miene darauf angesprochen hatte. Bei solchen, sich ärgerlicherweise viel zu oft ergebenden Gelegenheiten pflegte Wells die Begeisterung seines Gegenübers mit ein paar sarkastischen Bemerkungen ins Lächerliche zu ziehen, als stehe er über der Alltagswirklichkeit oder weit vor ihr, was andererseits die Masse ja von einem Schriftsteller erwartete, dem sie gewöhnlich höhere und weniger irdische Interessen als die der Normalsterblichen zuschrieb. Manchmal aber, wenn er nicht in Stimmung war für spitze Bosheit, zeigte er sich empört über den exorbitanten Preis der Fahrkarte. Diese Option wählte er nun auch für Serviss, der ihm, da selbst Schriftsteller, die erste nicht abkaufen würde.
    «Weil ich der Meinung bin, dass die Zukunft allen gehört und niemand davon ausgeschlossen bleiben darf, nur weil er die Fahrkarte nicht bezahlen kann.»
    Serviss starrte ihn verständnislos an, doch dann vollführte er eine brüske Handbewegung vor seinem Gesicht, als wische er eine Spinnwebe beiseite.
    «Ah, natürlich! Verzeihen Sie meine Taktlosigkeit, George. Klar, die Fahrkarte war für arme Schriftsteller wie uns viel zu teuer …», fehlinterpretierte er ihn. «Um ehrlich zu sein, ich konnte sie mir auch nicht leisten. Dabei habe ich eisern gespart, um einmal mit der berühmten
Cronotilus
fahren zu können. Ich wollte unbedingt den Krieg der Zukunft sehen. Das war mein größter Wunsch. Ich hatte sogar vor, mich, sobald ich mich im Jahr 2000 befände, von der Gruppe fortzuschleichen, um dem tapferen Hauptmann Shackleton die Hand zu schütteln und ihm dafür zu danken, dass er dafür gesorgt hatte, dass all unsere Träume und Hoffnungen nicht auf dem Scherbenhaufen der Geschichte landeten. Denn könnte die Menschheit weiterhin Dinge erfinden und Kunstwerke schaffen, wenn sie wüsste, dass im Jahr 2000 kein Mensch mehr auf der Welt wäre, um sich an ihnen zu erfreuen? Wenn es nur noch Maschinen gäbe und alles, was der Mensch geschaffen hat, verschwunden wäre, als hätte es niemals existiert?» Nach diesen Worten schien Serviss auf seinem Stuhl zusammenzusinken und schlug einen wehmütigen Ton an. «Aber weder Sie noch ich, George, werden je die Möglichkeit haben, in die Zukunft zu reisen. Wirklich ein Jammer, denn heute hätten Sie bestimmt die Mittel dazu. Sie waren bestimmt ebenso niedergeschlagen wie ich, als Sie erfahren haben, dass das Zeitreiseunternehmen seine Tore schließen musste, weil Mr. Murray gestorben war.»
    «Ja, das war ein ausgesprochener Jammer», meinte Wells ironisch.
    «In der Zeitung hieß es, er sei von einem der Drachen verschlungen worden, die in der vierten Dimension leben», erinnerte sich Serviss bedrückt. «Vor den Augen seiner Mitarbeiter, die nichts tun konnten, um es zu verhindern. Es muss schrecklich gewesen sein.»
    Ja, Murray war ein spektakulärer Tod gelungen, dachte Wells.
    «Und wie kommt man jetzt in die vierte Dimension? Glauben Sie, sie bleibt uns für immer verschlossen?»,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher