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Die Landkarte der Liebe

Die Landkarte der Liebe

Titel: Die Landkarte der Liebe
Autoren: Lucy Clarke
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Zehenring an jedem Fuß, die Nägel waren unlackiert. Sie trug ein cremefarbenes Oberteil über einem türkisfarbenen Bikini. Eine zarte Kette aus winzigen weißen Muscheln lag um ihren Hals, eine einzelne Perle in der Mitte. Für den Tod sah sie viel zu lässig aus.
    Katie hatte eine Hand auf Mias Arm gelegt. Er war kalt und bleiern. Langsam war sie mit den Fingern zur Ellbogeninnenseite gefahren, wo sich dünne, blaue Äderchen kreuzten, durch die nun kein Blut mehr durch den Körper floss. Ihre Hand war über den Bizeps gewandert, die Schulter und die zarte Haut am Nacken. Sie hatte die blasse Narbe an ihrer Schläfe gestreichelt, einen Halbmond, und dann die Hand an Mias Wange gelegt. Sie wusste, dass Mias Schädel bei dem Aufschlag hinten aufgeplatzt war, doch darüber hinaus zeigte der Körper keine Spuren. Katie war enttäuscht: Sie hatte auf einen Hinweis gehofft, auf etwas, das den Behörden entgangen war und beweisen würde, dass Mia aus einem erträglicheren Grund als einem selbst gewählten Tod gestorben war.
    Vorsichtig hatte sie Mias Oberteil zurechtgezupft und die Shorts nach unten gezogen, bis sie auf den Hüftknochen saßen. Dann hatte sie sich zu ihr vorgebeugt. Die Haut roch fremd: nach Antiseptikum und Balsamierungsflüssigkeit. Katie hatte die Augen geschlossen und geflüstert: »Verzeih mir.«
    Â»Katie?« Ed drückte ihre Hand und holte sie in die Gegenwart zurück. »Du bist dran.«
    Er legte seine Hand auf ihren Ellbogen und half ihr beim Aufstehen. Ihre Beine waren leer und schwerelos, sie schwebte zum Pult wie ein Geisterwesen. Sie stopfte das Taschentuch in die eine Manteltasche und zog die Karte mit ihren Notizen aus der anderen heraus.
    Katie schaute auf. Die Kirche war voll. Hinten standen die Trauer­gäste in Dreierreihen. Sie erkannte ehemalige Nachbarn, Freunde aus Mias Schulzeit, ihre eigenen Freundinnen, die den weiten Weg aus London hierhergekommen waren. Viele aber waren ihr auch fremd. Ein Mädchen mit einer schwarzen Wollmütze weinte leise, seine Schultern zuckten. Zwei Reihen dahinter putzte sich ein junger Mann mit einem gelben Taschentuch die Nase und steckte es unter die Agende. Katie war bewusst, dass die Gedanken der Trauergemeinde um die Umstände von Mias Tod kreisten, aber sie hatte keine Antworten auf diese Fragen. Wie auch – sie wusste selbst nicht, was sie glauben sollte.
    Katie klammerte sich an das Pult, räusperte sich, dann begann sie. »Offiziell gilt Mias Tod als Grauzone, dabei war ihr Leben so strahlend wie ein Regenbogen gewesen. Als Schwester war sie ein kräftiges Azur. Sie hat mich dazu gebracht, die Welt immer wieder aus einer neuen Perspektive, in einem anderen Licht zu sehen. Mia war auch ein intensives Violett. Denn alles, was sie tat, kam von Herzen, sie war leidenschaftlich, spontan und mutig. Als Freundin war sie ein leuchtendes Orange, geistreich, beherzt und immer abenteuerlustig. Als Tochter, hätte unsere Mum –« Ihre Stimme zitterte. Katie schloss die Augen und kämpfte mit dem Kloß, der in ihrer Kehle aufstieg.
    Als sie die Augen wieder öffnete, fiel ihr Blick auf Ed. Er nickte ihr ermutigend zu. Sie holte tief Luft und begann den Satz von Neuem. »Als Tochter, hätte unsere Mum wohl gesagt, war Mia das Rot der Liebe. Mia hat ihr Glück, Wärme und Freude geschenkt. Und Mia war auch das Meeresgrün des Ozeans, in dessen Wellen sie als Kind gebadet und getobt hat. Ihr ansteckendes und fröh­liches Lachen war ein heiteres Gelb, ein Sonnenstrahl, der jeden gewärmt hat, der mit ihr lachte. Doch nun, wo Mia von uns gegangen ist, bleibt für mich nur noch ein kaltes, trübes Blau, an der Stelle, wo ihr Regenbogen einst geschillert hat.«
    Katie vergaß die Karte. Ihre Beine trugen sie irgendwie zurück in ihre Bank, wieder an Eds Seite.
    Der Sarg war bereits in die Erde hinabgelassen worden, die Trauer­gemeinde ging schon zu den Autos, da entdeckte Katie ihn.
    Finn sah so anders aus als der Mann, von dem sie sich am Flughafen verabschiedet hatte. Seine Haut war gebräunt, sein Haar hatte unter der Sonne einen wärmeren Ton angenommen. Vor allem aber wirkte er älter, das Jungenhafte war aus seinen Zügen gewichen. Er hatte erst vor drei Tagen mit seinen Eltern sprechen können, war mit dem erstbesten Flug nach London gekommen und am Vortag eingetroffen. Er wurde von zwei seiner Brüder
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