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Die Lady in Weiß

Titel: Die Lady in Weiß
Autoren: Miranda Jarrett
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unten ist alles ruhig. Es muss bereits nach Mitternacht sein.“
    „Ich finde schon allein den Weg hinaus. Ich bin nicht ganz so hilflos, wie Sie vielleicht denken. Meine Kutsche wartet am Fuße des Hügels.“
    „Nun, Sie werden auf keinen Fall allein gehen.“ Er ließ ihren Arm los, griff nach seinem Hemd und zog es rasch an.
    „Glauben Sie mir, diese plötzliche Ritterlichkeit ist wirklich nicht nötig“, sagte sie abwehrend. „Ich komme ganz gut allein zurecht.“
    „Oh, sicher, das glaube ich sofort.“ Er zog seinen Mantel an, ohne sich mit Weste oder Hut aufzuhalten, und strich sich mit der Hand das Haar nach hinten. „Und missverstehen Sie das nicht als Ritterlichkeit. Wenn man Sie morgen früh mit durchschnittener Kehle und ausgeraubt im Unterholz findet, dann möchte ich nicht der Letzte gewesen sein, der Sie lebend gesehen hat.“
    Sie hüstelte verlegen, und er lächelte. Wenn sie nicht versuchte, die große Dame zu spielen, war sie ihm schon viel sympathischer. Falls es sich ergab, würde er sie vielleicht noch einmal im Mondschein bei ihrer Kutsche küssen.
    Nein, ritterlich war er eigentlich überhaupt nicht.
    Er nahm die Laterne von dem Tisch neben seinem Bett, zögerte kurz, dann zog er mit raschem Griff die Pistole unter dem Kissen hervor und schob sie in seine Manteltasche. „Also los, gehen wir, Madam.“
    „Wenn Sie es nicht über sich bringen, mich Caro zu nennen, dann müssen Sie mich mit ,Lady Byfield' anreden“, sagte sie gereizt, während sie ihm folgte. „,Madam“ gefällt mir nicht.“
    „Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, so redet man die Damen in meiner Heimat an“, entgegnete er trocken. „Wegen solcher und ähnlicher Dinge haben wir einen Krieg gegen Ihr Land geführt. “
    Sie antwortete nicht, aber es machte ihm nichts aus, solange sie sich nur ruhig verhielt und nicht die übrigen Bewohner des Hauses aufweckte. Er hatte keine Lust, mitten in der Nacht seiner Schwester oder gar seinem Schwager die
    Situation erklären zu müssen. Am nächsten Morgen würde er sicherlich ein paar ernste Worte mit Jack wechseln, aber nicht jetzt, da sie noch anwesend war.
    Der lange Korridor, der zur Haupttreppe führte, war dunkel, und die Kerze warf nur ein schwaches Licht. Jeremiah hielt die Laterne etwas höher und zwang sich dazu, seine Unsicherheit zu bekämpfen, die sich so leicht in Furcht verwandelte. Er war schon hundertmal, nein, tausendmal bei Tageslicht durch diesen Korridor gelaufen, ohne sich bedroht zu fühlen. Warum also sollte es in der Dunkelheit der Nacht anders sein?
    Er spürte, dass die Frau an seiner Seite zögernd nach seinem Arm griff, und er strich selbstsicher über ihre Hand, um sie zu beruhigen. Es war schon viel Zeit vergangen, seit er das letzte Mal bei einer Frau gewesen war, aber noch viel länger war es her, seit eine Frau bei ihm Schutz und Trost gesucht hatte. Er lächelte verdrießlich. Was würde sie wohl tun, wenn sie die Wahrheit über ihren traurigen Helden wüsste?
    Nachdem sie das Haus verlassen hatten, eilte sie die Steinstufen hinab, ohne auf ihn zu warten. Ihr weißes Kleid schimmerte im Mondlicht. Er folgte ihr langsam, denn seine Wunde schmerzte ihn immer noch, wenn er sich hastig bewegte, und er hatte nicht die Absicht, in ihrer Gegenwart zu keuchen und zu stöhnen wie ein alter Mann.
    Es war Vollmond, und der weite Rasen um das Haus herum war so deutlich zu erkennen wie bei Tage. Jeremiah entspannte sich. Hier gab es keine Dämonen, hier gab es nur ihn und diese elfenhafte Countess. Der Kies unter ihren Füßen knirschte, und mit einer abfälligen Bemerkung auf den Lippen trat sie auf den Rasen.
    „Sie werden Ihre Schuhe ruinieren“, warnte Jeremiah sie, als er sich ihr näherte. „Das Gras ist schon feucht vom Tau.“ „Das ist mir egal.“ Sie blieb stehen und wartete auf ihn. „Ich sehe es überhaupt nicht ein, nur deshalb keine Wiese zu betreten, weil Damenschuhe so unpraktisch sind. Natürlich stört es Frederick, aber ich habe als Kind auf dem Land gelebt, und wenn es nach mir ginge, würde ich ganz ohne Schuhe, Strümpfe und Strumpfbänder gehen.“
    „Dann ziehen Sie sie doch aus! Was hindert Sie daran?“ Für eine Nacht im April war es ungewöhnlich warm. Darü-ber hinaus gefiel Jeremiah die Vorstellung, dass sie etwas tat, worüber sich dieser Frederick aufregen könnte.
    Sie lächelte ihn an. „Eigentlich könnte ich es tun, oder?“ „Natürlich können Sie“, entgegnete er leichthin. „Ich werde es auch nicht
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