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Die Lady in Weiß

Titel: Die Lady in Weiß
Autoren: Miranda Jarrett
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Mutter in schäbigen Unterkünften, aus denen alles Wertvolle entfernt worden war, um es gegen Lebensmittel und Medizin einzutauschen. Und schon wieder fühlte Caroline die zurückgehaltenen Tränen in ihren Augen brennen.
    „Nicht weinen, Tochter“, mahnte ihre Mutter und senkte die Stimme, sodass die anderen Frauen um sie herum, die meisten von ihnen ebenso offenherzig gekleidet, sie nicht hören konnten. „Wenn Sir Harry dich ansieht, dann um seine Sorgen zu vergessen, und nicht, um sich auch noch mit deinen zu belasten.“
    In einem letzten, verzweifelten Aufbegehren schüttelte Caroline den Kopf. „Wir müssen nicht so leben, Mama. Ich könnte nähen oder bei einer Hutmacherin arbeiten. Es muss doch eine andere Möglichkeit geben als das hier! “
    „Was, und das einzige Geschenk, das Gott uns beiden gab, sollen wir einfach so verschwenden?“ Das Lachen ihrer Mutter war kurz und bitter. „Dein Gesicht ist dein Kapital, Mädchen, und damit wirst du in einer Woche mehr verdienen als jede kleine schmutzige Näherin in zwanzig Jahren.“ „Aber, Mama ...“
    „Widersprich mir nicht, du dummes Ding!“, zischte ihre Mutter. Ihre dünnen Finger gruben sich in Carolines Arm, als sie sie hinausführte. „Du bist alles, was ich habe, und mehr interessiert mich nicht. Ich möchte, dass du es zu etwas bringst, solange ich mich noch dafür einsetzen kann. Falls du Sir Harry Wrightsman heute Nacht gefällst, wird er dich zuvorkommender behandeln, als du es dir überhaupt erträumen kannst, und vermutlich besser, als du es verdient hast. “ Am Durchgang zum Salon hielt Caroline erschrocken inne. Vor ihnen erstreckte sich ein unglaublich großer Raum mit goldschimmernden Wänden, mit Spiegeln und Hunderten von Kerzen. Die schönen Frauen und die Männer, die in Grüppchen beieinanderstanden, verunsicherten sie. Ihre Gesten waren so ungezwungen und ihre Gespräche und ihr Lachen so laut, dass sie beinahe die Musik aus dem Alkoven übertönten. Ganz egal, was ihre Mutter sagte, Caroline wusste, dass sie nicht hierher gehörte.
    „Oh, Mama“, flüsterte sie, und ihr Gesicht wurde ganz bleich unter dem Rouge. „Ich flehe dich an, bitte, können wir nicht gehen, bitte, bitte?“
    „Pst, blamier mich nicht!“, entgegnete ihre Mutter scharf und zog Caroline weiter. Sie hatte bereits das besondere Lächeln aufgesetzt, das nur für die Öffentlichkeit bestimmt war, und sah an ihrer Tochter vorbei, um die Menschenmenge zu begutachten. „Es ist zu spät. Die Würfel sind gefallen. Du musst dich jetzt auf deine Schönheit und deine Jugend verlassen, Caroline, und hoffen, dass sich Sir Harry damit zufriedengibt.“
    Obwohl sie den Kopf gesenkt hielt, spürte Caroline die neugierigen und aufdringlichen Blicke der anderen auf sich ruhen. Hätte ihre Mutter sie nicht so erbarmungslos am Arm festgehalten, sie hätte sich umgedreht und wäre davongelaufen. Aber nun gab es kein Entkommen mehr. Sie war jung, jedoch nicht einfältig. In dem Augenblick, in dem sie diesen Salon betreten hatte, waren ihre Unschuld und ihr guter Name unwiederbringlich verloren. Wie ihre Mutter bereits gesagt hatte, waren die Würfel schon gefallen. Ihr stand die schlimmste Nacht ihres Lebens bevor.
    An ihrer Seite begrüßte Miriam fröhlich und voller Zuneigung ihre Bekannten. Ihre Stimme war weitaus freundlicher als jemals zuvor, wenn sie zu ihrer Tochter gesprochen hatte.
    Oh, Mama, wenn du diese Herzlichkeit nur einmal mir gezeigt hättest...
    „Das ist also dein kleines Mädchen?“, hörte sie einen Mann voll gespannter Ungeduld sagen. Carolines Herz blieb beinahe stehen. „Alle Achtung, Miriam, sie ist ein hübsches Ding, viel bezaubernder, als du behauptet hast! Komm schon, Kleine, sei nicht so schüchtern. Lass dich mal richtig ansehen.“ Er fasste Caroline grob am Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Er war alt, viel älter, als sie erwartet hatte. Seine Augen verschwanden fast unter den Fettpolstern in seinem fleischigen Gesicht, und wenn er lächelte, schimmerten die wenigen Zähne, die er noch hatte, gelblich vom Tabak. Sein Atem ließ Caroline fast ohnmächtig werden. Aus seiner altmodischen Perücke rieselte Puder auf seine gebeugten Schultern, und obwohl seine Garderobe sichtlich teuer war, konnte sie nicht die Körperfülle verbergen, über die sich seine Weste spannte. Dies war der Mann, an den man sie verkauft hatte. Dies war der Mann, mit dem sie das Bett teilen sollte, der Mann, dem sie sich hingeben musste.
    Sie konnte es nicht
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