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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens
Autoren: Carlos Castaneda
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Träumens, begann mich einzusaugen. Schwach hörte ich Carols Stimme, die mir ins Ohr sagte: »Wir träumen uns. Träume deine Absicht von mir. Beabsichtige mich vorwärts! Beabsichtige mich vorwärts!«
    Mit größter Anstrengung sprach ich mein innerstes Gefühl aus: »Bleibe bei mir, für immer«, sagte ich - mit der Langsamkeit eines defekten Tonbandgeräts. Sie antwortete etwas Unverständliches. Ich wollte schon lachen über meine Stimme, aber dann verschluckte mich der Wirbel.
    Als ich erwachte, war ich allein im Hotelzimmer. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich geschlafen hatte. Ich war sehr enttäuscht, Carol nicht neben mir zu finden. In aller Eile zog ich mich an und lief hinunter in die Lobby, sie zu suchen. Außerdem wollte ich die sonderbare Schläfrigkeit abschütteln, die mich gefangenhielt.
    An der Rezeption sagte mir der Portier, daß die Amerikanerin, die das Zimmer gemietet hätte, eben abgereist sei. Ich lief auf die Straße hinaus und hoffte, sie noch einzuholen, aber sie war spurlos verschwunden. Es war Mittag. Die Sonne stand an einem wolkenlosen Himmel. Es war irgendwie zu warm. Ich ging zur Kirche. Mit echter, aber dumpfer Überraschung stellte ich fest, daß ich in jenem Traum tatsächlich die Details ihrer Architektur gesehen hatte. Interesselos spielte ich meinen eigenen Advocatus Diabolie und dachte: im Zweifel für den Angeklagten. Vielleicht hatten Don Juan und ich tatsächlich die Rückseite der Kirche inspiziert, und ich erinnerte mich einfach nicht. Aber es war mir egal. Ich dachte nicht darüber nach. Mein Objektivierungs- Schema hatte ohnehin keinen Sinn mehr für mich. Ich war zu schläfrig, als daß es mich noch interessierte.
    Von dort schlenderte ich langsam zu Don Juans Haus, immer noch auf der Suche nach Carol. Ich war sicher, daß ich sie dort antreffen würde, daß sie mich erwartete. Don Juan begrüßte mich, als sei ich von den Toten auferstanden. Er und seine Gefährtinnen waren in höchster Erregung, während sie mich mit unverhohlener Neugier anschauten. »Wo hast du gesteckt?« fragte Don Juan ungeduldig. Ich begriff einfach nicht den Grund all der Aufregung. Ich hätte die Nacht mit Carol im Hotel an der Plaza verbracht, sagte ich ihm, weil ich keine Energie mehr hatte, von der Kirche zu seinem Haus zurückzukehren. Aber das wüßten sie bereits. »Wir wußten nichts dergleichen«, herrschte er mich an. »Hat Carol dir nicht gesagt, daß sie mit mir zusammen sei?« fragte ich, während mir ein Verdacht dämmerte, der mich alarmiert hätte, wäre ich nicht so erschöpft gewesen. Niemand antwortete. Fragend sahen sie einander an. Ich wandte mich an Don Juan und sagte ihm, ich sei der Meinung gewesen, er habe Carol ausgeschickt, mich zu suchen. Don Juan schritt im Zimmer auf und ab, ohne ein Wort zu sagen.
    »Carol Tiggs war gar nicht bei uns«, sagte er. »Und du warst neun Tage lang fort.«
    Meine Müdigkeit bewahrte mich davor, bei diesen Worten tot umzufallen. Der Ton seiner Stimme und die besorgten Blicke der anderen waren Beweis genug, daß sie es ernst meinten. Aber ich war so betäubt, daß ich nichts zu sagen wußte. Don Juan forderte mich auf, ihnen in aller Ausführlichkeit zu erzählen, was sich zwischen mir und der, die dem Tode trotzt, zugetragen habe. Ich war schockiert darüber, daß ich mich an so vieles erinnern konnte und daß ich davon berichten konnte, trotz meiner Müdigkeit. Ein Augenblick unbeschwerter Fröhlichkeit brach die Spannung, als ich ihnen erzählte, wie sehr die Frau gelacht hatte, als ich in ihrem Traum meine Absicht, zu sehen, wie ein Esel hinausbrüllte.
    »Mit dem kleinen Finger zu deuten, das funktioniert besser«, sagte ich zu Don Juan, ohne jeden Vorwurf. Don Juan fragte, ob die Frau noch eine weitere Reaktion auf mein Gebrüll gezeigt hätte, außer ihrem Gelächter? Ich hätte keine Erinnerung daran, sagte ich, bis auf ihre Fröhlichkeit und die Tatsache, daß sie darüber gesprochen hatte, wie sehr er sie verabscheute.
    »Ich verabscheue sie überhaupt nicht«, protestierte Don Juan. »Ich verabscheue nur die Zwanghaftigkeit der alten Zauberer.«
    An alle Anwesenden gewandt, sagte ich. daß ich persönlich diese Frau ungeheuer und vorbehaltlos gern gehabt hätte. Und daß ich Carol Tiggs geliebt hatte, wie ich nie geglaubt hätte, jemanden lieben zu können. Sie schienen gar nicht zu verstehen, was ich sagte. Sie sahen einander an, als sei ich plötzlich verrückt geworden. Ich wollte noch mehr sagen, meine Gefühle
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