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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens
Autoren: Carlos Castaneda
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Eingang des Hotels - einen halben Straßenblock weiter, genau gegenüber der Kirche. Wir gingen durch die trostlose Lobby, das betonierte Treppenhaus hinauf und auf den zweiten Stock, direkt in ein unfreundliches Zimmer, das ich noch nie gesehen hatte. Carol sagte, ich sei schon einmal hier gewesen. Doch ich hatte keinerlei Erinnerung, weder an das Hotel noch an das Zimmer. Ich war aber so müde, daß ich nicht darüber nachdenken konnte. Ich ließ mich vornüber aufs Bett fallen. Ich wollte nur schlafen, und doch war ich zu aufgeregt. Es gab da zu viele offene Fragen, auch wenn alles so geordnet erschien. Plötzlich überfiel mich Nervosität, und ich richtete mich auf.
    »Ich habe dir nie erzählt, daß ich die Gabe derer, die dem Tode trotzt, nicht annehmen wollte«, sagte ich - und sah Carol an.
    »Wie konntest du das wissen?«
    »Oh, weil du es mir selbst gesagt hast«, protestierte sie, während sie sich neben mich setzte. »Du warst so stolz darauf. Es war das erste, womit du herausplatztest, als ich dich fand.« Dies war die erste Antwort, bislang, die mich nicht ganz befriedigte. Was sie mir berichtete, klang nicht so, als hätte ich es gesagt.
    »Ich glaube, du hast mich falsch verstanden«, sagte ich. »Ich wollte nur nichts haben, was mich von meinem Ziel abbringen könnte.«
    »Du meinst also, du hast dich nicht stolz gefühlt bei deiner Weigerung?«
    »Nein. Ich habe überhaupt nichts gefühlt. Ich kann nichts mehr fühlen, außer Furcht.«
    Ich streckte die Beine aufs Bett und legte den Kopf auf das Kissen. Ich war überzeugt, daß ich sofort einschlafen würde, wenn ich die Augen schloß oder nicht weitersprach. Also erzählte ich Carol, wie ich mit Don Juan am Anfang meiner Bekanntschaft gestritten hatte - über sein eingestandenes Motiv, auf dem Weg der Krieger zu bleiben. Er hatte gesagt, die Furcht halte ihn auf geradem Weg, und was er am meisten fürchte, sei, das Nagual zu verlieren, das Abstrakte, den Geist.
    »Der Tod ist nichts, verglichen mit dem Verlust des Nagual«, hatte er damals gesagt, mit echter Leidenschaft in der Stimme. »Meine Furcht, das Nagual zu verlieren, ist die einzige Wirklichkeit, die ich habe. Denn ohne dies wäre ich schlimmer als tot.« Ich hatte Don Juan sofort widersprochen, wie ich nun Carol erzählte, und damals geprahlt, daß einzig Liebe für mich die motivierende Kraft sein könne, falls ich schon auf einem begrenzten Pfad bleiben müsse, weil Furcht mir nichts anhaben könne. Und Don Juan hatte erwidert, daß die Furcht, wenn der Schlag wirklich kommt, der einzig würdige Zustand für einen Krieger sei. Insgeheim verachtete ich seine, wie ich glaubte, heimliche Engstirnigkeit.
    »So hat das Rad eine volle Umdrehung gemacht«, sagte ich zu Carol. »Denn, sieh mich an. Ich schwöre dir. das einzige, was mir die Kraft gibt weiterzumachen, ist die Furcht, das Nagual zu verlieren.«
    Carol starrte mich an - mit einem seltsamen Blick, den ich nie bei ihr bemerkt hatte.
    »Da möchte ich widersprechen«, sagte sie leise. »Die Furcht ist nichts, verglichen mit Liebe. Die Furcht lässt dich kopflos davon- laufen. Die Liebe lässt dich klug handeln.«
    »Was sagst du da, Carol Tiggs? Sind die Zauberleute neuerdings Liebesleute?«
    Sie antwortete nicht. Sie legte sich neben mich und legte den Kopf an meine Schulter. So blieben wir liegen, in diesem sonderbar unfreundlichen Zimmer, lange Zeit, in völligem Schweigen.
    »Ich fühle, was du fühlst«, sagte Carol unvermittelt.
    »Und jetzt versuche du, zu fühlen, was ich fühle. Du kannst es. Aber tun wir's im Dunkeln.«
    Carol streckte den Arm nach oben und machte die Lampe über dem Bett aus. Ich aber fuhr mit einer einzigen Bewegung hoch. Wie ein Stromschlag hatte mich die Angst getroffen. Denn kaum hatte Carol das Licht ausgemacht, war es Nacht in diesem Zimmer. In höchster Erregung fragte ich Carol, wie das möglich sei.
    »Du bist noch nicht ganz beisammen«, sagte sie beschwichtigend.
    »Du hattest einen ungeheuren Zusammenstoß. So tief in die zweite Aufmerksamkeit einzutauchen hat dich - gewissermaßen -ein wenig beschädigt. Natürlich ist es jetzt Tag, aber deine Augen können sich nicht recht an das trübe Licht hier im Zimmer gewöhnen .«
    Mehr oder minder überzeugt, legte ich mich wieder hin. Carol sprach weiter, aber ich hörte nicht mehr zu. Ich befühlte die Laken. Es waren echte Laken. Ich strich mit den Händen über das Bett; es war ein Bett. Ich beugte mich hinaus und fuhr mit der flachen Hand über
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