Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
jener Welt erkannt - an dem Tag, als er herausfand, daß die anorganischen Wesen das weibliche Prinzip für unbesiegbar halten. Sie glauben, daß das weibliche Prinzip eine solche Geschmeidigkeit, eine solche Bandbreite hat. daß seine Angehörigen unangreifbar sind durch Fallen oder Tricks und kaum gefangengehalten werden können. Die Verwandlung dessen, der dem Tode trotzt, war so vollkommen und weitgehend, daß er sofort aus dem Reich der anorganischen Wesen ausgestoßen wurde.
    »Hat sie dir erzählt, ob die anorganischen Wesen noch immer hinter ihr her sind?« fragte ich.
    »Natürlich sind sie hinter ihr her«, versicherte Carol. »Die Frau sagte mir, daß sie jeden Augenblick ihres Lebens ihre Verfolger abwehren muß.«
    »Was können sie ihr anhaben?«
    »Erkennen, daß sie in Wahrheit ein Mann ist, und sie wieder gefangen nehmen, vermute ich. Ich glaube, sie fürchtet sie mehr, als du es für möglich halten würdest.«
    Unbekümmert erzählte Carol mir, daß die Frau in der Kirche genau über meinen Zusammenstoß mit den anorganischen Wesen informiert sei und daß sie auch von dem blauen Scout wisse.
    »Sie weiß alles von dir und mir«, fuhr Carol fort. »Nicht, weil ich ihr etwas erzählt hätte, sondern weil sie zu unserem Leben und unserer Linie gehört. Sie sprach davon, daß sie alle von uns begleitet hat, immer, besonders dich und mich.« Und Carol erzählte Beispiele dafür, daß die Frau Dinge wußte, die Carol und ich gemeinsam getan hatten. Und während sie erzählte, spürte ich eine unglaubliche Sehnsucht nach eben der Person, die vor mir saß: Carol Tiggs. Wie sehr wünschte ich mir. sie zu umarmen. Ich streckte die Arme nach ihr aus. verlor aber das Gleichgewicht und fiel von der Bank.
    Carol half mir vom Boden auf und untersuchte besorgt meine Beine, die Pupillen meiner Augen, meinen Hals und meinen Rücken. Sie sagte, daß ich wahrscheinlich noch immer unter den Folgen eines Energie-Schocks litte. Sie zog meinen Kopf an ihre Brust und liebkoste mich - als versuchte sie ein simulierendes Kind zu trösten.
    Nach einer Weile ging es mir wirklich besser. Ich fand sogar meine motorische Kontrolle wieder.
    »Wie bin ich angezogen?« fragte mich Carol ganz unvermittelt. »Findest du mich zu aufgetakelt für den Anlaß? Oder gefalle ich dir?«
    Carol war immer tadellos angezogen. Wenn sie einen unbestreitbaren Vorzug hatte, so war es ihr sicherer Geschmack, was Kleider betraf. Tatsächlich war es. solange ich sie kannte, ein ständiger Witz zwischen Don Juan und uns anderen, daß ihre einzige Tugend in ihrem Sinn für schöne Kleider bestünde, die sie mit Anmut und Stil zu tragen wußte.
    Ich war befremdet von ihrer Frage und sagte ihr dies. »Warum sorgst du dich um dein Aussehen? Es hat dich noch nie gekümmert. Willst du jemandem imponieren?«
    »Dir will ich natürlich imponieren«, sagte sie. »Jetzt ist aber nicht der richtige Zeitpunkt«, protestierte ich.

»Was mich interessiert, ist, was los ist mit der dem Tode Trotzenden
    und nicht dein Aussehen.«
    »Du würdest dich wundem, wie wichtig es ist. mein Aussehen.« Sie lachte. »Es ist für uns beide eine Frage auf Leben und Tod.«
    »Was redest du da? Du erinnerst mich an den Nagual, als er meine Begegnung mit dem, der dem Tode trotzt, arrangierte. Er machte mich ganz verrückt mit seinen geheimnisvollen Reden.«
    »Waren seine geheimnisvollen Reden etwa nicht berechtigt?« fragte Carol mit todernstem Gesicht. »Doch, natürlich«, musste ich zugeben. »Also, das gilt auch für mein Aussehen. Sag deine Meinung - wie findet du mich? Anziehend? Abstoßend, attraktiv, durchschnittlich, widerlich, überwältigend, übertrieben?« Ich überlegte einen Augenblick, dann traf ich mein Urteil. Ich fand Carol sehr anziehend. Das war mir ganz fremd. Noch nie hatte ich bewußt über ihre Anziehung nachgedacht. »Ich finde dich göttlich schön«, sagte ich. »Tatsächlich, du bist regelrecht überwältigend.«
    »Dann ist mein Aussehen wohl richtig.« Sie seufzte. Ich sinnierte noch über die Bedeutung ihrer Worte, als sie weitersprach. Sie fragte: »Wie war es mit der, die dem Tode trotzt?«
    Kurz und bündig erzählte ich ihr von meinem Erlebnis, hauptsächlich von dem ersten Traum. Ich sagte, ich sei überzeugt, daß die, die dem Tode trotzt, mir diese Stadt gezeigt habe, doch in einer anderen Zeit, in der Vergangenheit.
    »Aber das ist unmöglich«, platzte Carol heraus. »Es gibt weder Zukunft noch Vergangenheit im Universum. Es gibt nur den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher