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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens
Autoren: Carlos Castaneda
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ein paar Minuten bist du aus dem Zimmer gelaufen - und hier sind wir gelandet.«
    »Warum hast du nicht den Nagual um Hilfe gebeten?«
    »Weil dies eine Sache ist, die nur dich und mich betrifft. Wir müssen sie zusammen durchstehen.«
    Das brachte mich zum Schweigen. Was sie sagte, klang mir völlig vernünftig. Ich stellte ihr noch eine meiner nörgelnden Fragen: »Was sagte ich, als du mich hier gefunden hattest?«
    »Du sagtest, du wärst so tief in der zweiten Aufmerksamkeit gewesen, und so lange, daß du deinen Verstand noch nicht beisammen hättest. Und daß du nur einen Wunsch hättest, zu schlafen.«
    »Wann habe ich meine motorische Körperkontrolle verloren?«
    »Eben erst. Du wirst sie wiederfinden. Wenn man in die zweite Aufmerksamkeit eintritt und einen starken Energie-Stoß erhält, das weißt du selbst, ist es doch ganz normal, daß man die Körperkontrolle und die Sprache verliert.«
    »Und wann hast du dein Lispeln verloren?« Sie war völlig überrascht. Sie sah mich an und fing an, schallend zu lachen. »Ich arbeite schon lange daran«, gestand sie. »Ich glaube, es ist ziemlich ärgerlich, eine erwachsene Frau lispeln zu hören. Außerdem verabscheust du es.«
    Das Geständnis, daß ich ihr Lispeln verabscheut hatte, fiel mir nicht schwer. Don Juan und ich hatten versucht, sie zu heilen. Aber wir waren zu dem Schluss gekommen, daß sie gar kein Interesse daran hatte, geheilt zu werden. Ihr Lispeln machte sie ganz reizend, und Don Juan war der Meinung, es gefiele ihr so gut, daß sie sich nie davon trennen würde. Sie jetzt ohne Lispeln sprechen zu hören, war ermutigend und erfreulich für mich. Es bewies mir, daß sie zu radikalen Veränderungen fähig war - was Don Juan und ich immer bezweifelt hatten. »Was sagte der Nagual noch, als er dich nach mir ausschickte'.'« fragte ich
    »Er sagte, du hättest einen Zusammenstoß mit dem, der dem Tode trotzt.«
    Geheimnisvoll vertraute ich Carol an, daß der, dem Tode trotzt, eine Frau sei. Unbeeindruckt sagte sie. das wisse sie längst. »Wie kannst du das wissen?« schrie ich. »Niemand hat es gewußt, bis auf Don Juan. Hat er selbst es dir gesagt?«
    »Natürlich«, antwortete sie, wenig beeindruckt von meinem Geschrei. »Vielleicht ist dir entgangen, daß auch ich die Frau aus der Kirche getroffen habe.
    Und ich traf sie vor dir. Wir haben uns in der Kirche ein Weilchen freundlich unterhalten.« Ich wollte gern glauben, daß Carol die Wahrheit sprach. Was sie da erzählte, konnte ich Don Juan durchaus Zutrauen. Wahrscheinlich hatte er Carol als Kundschafterin ausgesandt, um sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen. »Wann trafst du sie. die dem Tode trotzt?« fragte ich. »Oh, vor ein paar Wochen«, antwortete sie, in beiläufigem Ton. »Es war nichts Besonderes für mich. Ich hatte ihr keine Energie zu geben - oder nicht die Energie, die diese Frau braucht.«
    »Warum also hast du dich mit ihr getroffen? Gehört die Begegnung mit der Nagual-Frau ebenfalls zur Vereinbarung der dem Tode Trotzenden mit den Zauberern?«
    »Ich habe sie getroffen, weil der Nagual sagte, daß wir beide - du und ich - austauschbar sind. Aus keinem anderen Grund. Unsere Energiekörper haben sich oft vereinigt. Erinnerst du dich nicht? Die Frau und ich sprachen darüber, wie leicht wir uns vereinigen können. Ich blieb etwa drei bis vier Stunden bei ihr, bis der Nagual mich holen kam.«
    »Bist du die ganze Zeit in der Kirche geblieben?« fragte ich. Denn ich konnte kaum glauben, daß die beiden so lange - drei bis vier Stunden - dort drinnen gekniet hatten, nur um über die Vereinigung unserer Energiekörper zu reden.
    »Sie nahm mich mit, in einen anderen Aspekt ihrer Absicht«, gestand Carol nach kurzem Nachdenken. »Sie ließ mich sehen, wie sie tatsächlich ihren Zwingherren entkam.« Und dann erzählte Carol eine ganz faszinierende Geschichte. Nach allem, was die Frau in der Kirche ihr gezeigt hatte, sagte sie. mußten alle Zauberer der Vorzeit unvermeidlich den anorganischen Wesen zum Opfer fallen. Nachdem die anorganischen Wesen sie eingefangen hatten, gaben sie ihnen Macht, um sie als Mittler zwischen unserer Welt und der ihren zu benutzen, die bei den Menschen die Unterwelt hieß.
    Auch der, der dem Tode trotzt, verfing sich unvermeidlich in den Netzen der anorganischen Wesen. Jahrtausende, so schätzte Carol, verbrachte er in Gefangenschaft, bis zu dem Augenblick, da es ihm gelang, sich in eine Frau zu verwandeln. Dies hatte er klar als seinen Fluchtweg aus
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