Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
erwischen, auch nicht dieser Nagual hier, und sie hatten immer Glück, während wir anderen verhext waren, besonders la Gorda und ich. Wurden wir nicht sogar vom gleichen Hund gebissen? Und faulten nicht die gleichen Balken der Küchendecke zweimal durch und fielen uns auf den Kopf?«
    »Das hat der Nagual mir nie erklärt«, sagte la Gorda.
    »Natürlich tat er es«, beharrte Pablito.
    »Wenn ich gewußt hätte, wie schlimm es werden wird, hätte ich nie den Fuß an diese verfluchten Orte gesetzt«, protestierte la Gorda.
    »Der Nagual hat uns allen die gleichen Dinge erklärt«, sagte Nestor. »Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß keiner von uns aufmerksam zuhörte, oder vielmehr hörten wir alle ihm auf unsere Weise zu, und wir hörten das, was wir hören wollten. «
    Der Nagual sagte, daß die Fixierung der zweiten Aufmerksamkeit zwei Aspekte hat. Der erste und einfachste Aspekt ist das Böse. Es tritt ein, wenn Träumer ihr Träumen benutzen, um ihre zweite Aufmerksamkeit auf die Dinge der Welt zu fixieren, etwa auf Geld oder auf Macht über Menschen. Der andere Aspekt ist am schwersten zu erreichen, und er tritt ein, wenn Träumer ihre zweite Aufmerksamkeit auf Dinge konzentrieren, die nicht in oder von dieser Welt sind, wie etwa die Reise in das Unbekannte. Krieger brauchen unermeßliche Makellosigkeit, um diesen Aspekt zu erreichen.«
    Ich erklärte ihnen, ich sei mir sicher, daß Don Juan einigen von uns gewisse, ausgewählte Dinge verraten habe, und anderen andere Dinge. Ich konnte mich zum Beispiel nicht daran erinnern, daß Don Juan jemals mit mir über den bösen Aspekt der zweiten Aufmerksamkeit gesprochen hätte. Ich erzählte ihnen, was Don Juan mir über die Fixierung der Aufmerksamkeit im allgemeinen gesagt hatte.
    Er hielt mir vor, daß alle archäologischen Ruinen in Mexiko, besonders aber die Pyramiden, für den modernen Menschen schädlich wären. Er bezeichnete die Pyramiden als Ausdrucksformen eines uns fremden Denkens und Handelns. Er sagte, daß jede Einzelheit, jedes Muster an ihnen ein berechnetes Bemühen sei, Aspekte einer Aufmerksamkeit festzuhalten, die uns zutiefst fremd seien. Für Don Juan enthielten nicht nur die Ruinen vergangener Kulturen ein gefährliches Element; alles, was Gegenstand eines zwanghaften Interesses war, enthielt ein schädliches Potential.
    Dies hatten wir einmal sehr ausführlich diskutiert. Von ihm aus geschah es als Reaktion auf meine Bemerkung, ich wisse nicht, wo ich meine Feldnotizen sicher aufbewahren könne. Ich hatte ein sehr starkes Besitzverhältnis zu ihnen und war besessen von der Vorstellung, sie in Sicherheit zu wissen.
    »Was soll ich tun«, fragte ich ihn.
    »Genaro hat dir einmal eine Lösung gezeigt«, antwortete er. »Aber wie immer dachtest du, er mache Witze. Er macht nie Witze. Er sagte dir, du solltest mit deiner Fingerspitze schreiben, statt mit dem Bleistift. Du nahmst es ihm damals nicht ab, weil du dir nicht vorstellen kannst, daß dies das Nicht-Tun des Notizenmachens ist. «
    Ich wandte ein, daß sein Vorschlag als Witz gemeint gewesen sein müsse. Meine Vorstellung von mir selbst war die eines Sozialwissenschaftlers, der alles, was gesprochen wurde, aufzeichnen mußte, um zu verifizierbaren Schlüssen zu gelangen. Für Don Juan hatte das eine nichts mit den andern zu tun. Ein ernsthafter Wissenschaftler zu sein, hatte nichts mit Besitzdenken zu tun. Ich selbst sah keine Lösung; Don Genaros Vorschlag erschien mir witzig, nicht aber als reale Möglichkeit.
    Don Juan beharrte auf seinem Standpunkt. Er sagte, daß es beim Notizenmachen darum ginge, die erste Aufmerksamkeit für die Aufgabe des Erinnerns einzusetzen und daß ich mir Notizen machte, um mich daran zu erinnern, was gesagt und getan wurde. Don Genaros Empfehlung sei aber kein Witz gewesen, denn das Schreiben mit der Fingerspitze auf ein Stück Papier - als Nicht-Tun des Notizenmachens - würde mich zwingen, meine zweite Aufmerksamkeit auf das Erinnern zu konzentrieren, und dann brauchte ich keine Papierzettel mehr zu sammeln. Das Ergebnis, so meinte Don Juan, wäre schließlich exakter und überzeugender als beim Notizenmachen. Die Sache war noch niemals ausprobiert worden, soweit er wußte, aber das Prinzip erschien ihm vernünftig.
    Er drängte mich, es eine Weile zu versuchen. Ich war beunruhigt. Das Notizenmachen diente mir nicht nur als technisches Hilfsmittel, sondern es beruhigte mich auch. Es war meine nützlichste Krücke. Das Sammeln von Papierzetteln gab mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher