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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens
Autoren: Carlos Castaneda
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andere Krieger gekommen sein, Krieger, die nicht einverstanden waren mit dem, was die Zauberer von der Pyramide mit ihrer zweiten Aufmerksamkeit machten, und sie zerstörten die Pyramide mit allem, was sich darin befand.
    Der Nagual glaubte, daß es Krieger der dritten Aufmerksamkeit gewesen sein mußten, wie er selbst einer war, Krieger, die sich von der Bosheit der Fixierung auf die zweite Aufmerksamkeit abgestoßen fühlten. Die Zauberer von der Pyramide befassten sich zu eifrig mit ihrer Fixierung, um noch zu erkennen, was vor sich ging. Als sie es erkannten, war es zu spät.«
    Pablito fand gespannte Zuhörer. Jeder im Raum, auch ich selbst, war fasziniert von dem, was er sagte. Ich verstand die Gedanken, die er vortrug, weil Don Juan sie mir erklärt hatte.
    Don Juan hatte gesagt, daß unser ganzes Sein aus zwei wahrnehmbaren Teilen zusammengesetzt sei. Der erste sei der vertraute physische Körper, den wir alle wahrnehmen könnten; der zweite sei der leuchtende Körper, ein Kokon, den nur Sehende wahrnehmen können, ein Kokon, der uns das Aussehen von riesigen leuchtenden Eiern verleiht. Er hatte auch gesagt, daß es eines der wichtigsten Ziele der Zauberei sei, den leuchtenden Kokon zu erlangen; einen Kokon, der durch die Kultivierung des »Träumens« und durch rigorose systematische Anstrengungen vervollkommnet wurde, nannte er »Nicht-Tun«. Er definierte das »Nicht-Tun« als einen befremdlichen Akt, der unser ganzes Sein erfaßt, indem er es zwingt, seines leuchtenden Teils gewahr zu werden. Um mir diese Vorstellungen zu erläutern, unterteilte Don Juan unser Bewußtsein in drei ungleiche Teile. Den kleinsten nannte er die »erste Aufmerksamkeit«, und er sagte, dies sei das Bewußtsein, das jeder normale Mensch entwickelt, um sich mit der alltäglichen Welt auseinanderzusetzen; dazu gehöre auch das Gewahrwerden des physischen Leibes. Einen weiteren, größeren Teil nannte er die »zweite Aufmerksamkeit«, und er bezeichnete sie als jene Aufmerksamkeit, die wir brauchen, um unseren leuchtenden Kokon wahrzunehmen und um als leuchtende Wesen zu handeln. Die zweite Aufmerksamkeit, so sagte er, bleibe für die Dauer unseres Lebens im Hintergrund, bis sie durch absichtliches Training oder ein zufälliges Trauma zutage trete, und sie umfasse auch das Gewahrwerden des leuchtenden Körpers. Den dritten Teil, den größten, nannte er die »dritte Aufmerksamkeit« - ein unwägbares Bewußtsein, das undefinierbare
    Aspekte des Gewahrwerdens der physischen und der leuchtenden Körper mobilisiere.
    Ich fragte ihn, ob er selbst die dritte Aufmerksamkeit erfahren habe. Er sagte, daß er sich noch an der Schwelle zu ihr befinde und daß ich, wenn er jemals ganz in sie eingehen sollte, dies sofort merken würde, weil er ganz und gar das werden würde, was er wirklich war, ein Ausbruch von Energie. Er fügte hinzu, daß das Schlachtfeld der Krieger die zweite Aufmerksamkeit sei, so etwas wie ein Übungsfeld, um die dritte Aufmerksamkeit zu erreichen.
    Diese sei ein sehr schwer zu erreichender Zustand, der aber, einmal erlangt, sehr fruchtbar sei.
    »Die Pyramiden sind schädlich«, fuhr Pablito fort. »Besonders für ungeschützte Zauberer wie uns. Noch schlimmer sind sie für formlose Zauberer wie la Gorda. Der Nagual sagte, es gibt nichts Gefährlicheres als die böse Fixierung auf die zweite Aufmerksamkeit. Wenn Krieger lernen, sich auf die schwache Seite der zweiten Aufmerksamkeit zu konzentrieren, kann sich ihnen nichts in den Weg stellen. Sie werden Jäger der Menschen, Ghule. Selbst wenn sie nicht mehr am Leben sind, können sie ihre Beute über die Zeit hinweg erreichen, als ob sie hier und jetzt anwesend wären. Denn wir werden für sie zur Beute, sobald wir in eine jener Pyramiden gehen.
    Der Nagual nannte sie Fallen der zweiten Aufmerksamkeit.«
    »Was genau, sagte er, würde passieren?« fragte la Gorda.
    »Der Nagual sagte, wir könnten vielleicht einen Besuch bei den Pyramiden aushalten«, erklärte Pablito. »Beim zweiten Besuch würden wir eine seltsame Traurigkeit empfinden. Es würde sein wie ein kalter Windhauch, der uns lustlos und schlapp macht; eine Müdigkeit, die sich bald in Unglück verwandelt. Und unversehens würden wir verhext sein; alles mögliche würde uns
    zustoßen. Ja, der Nagual sagte, daß unsere Pechsträhnen dadurch bedingt sind, daß wir diese Pyramiden mutwillig, gegen seinen Rat, aufgesucht hätten.
    Eligio zum Beispiel war dem Nagual nie ungehorsam. Niemals ließ er sich dort
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