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Die Kundschafter

Die Kundschafter

Titel: Die Kundschafter
Autoren: Hans Kneifel
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Krähenkehle.«
    Lamir gab gekränkt, aber heiter zurück: »Du verstehst etwas vom Reiten und Kämpfen, aber nichts von der Kunst ätherischen Gesanges.«
    Mythor vergewisserte sich, dass der Helm der Gerechten und das Gläserne Schwert sicher an seinem Gürtel befestigt waren, und deutete auf Anid.
    »Geh nach vorn, Lamir!« rief er. »Sing und spiel laut! Dann sind die Pfade leer, denn Schlangen und Raubvögel werden geflüchtet sein.«
    Lamir wartete keine zweite Aufforderung ab und griff jedesmal, wenn sich Anid oder einer seiner Gefolgsleute die klatschenden Stricke über die gekrümmten Rücken zogen, in die Saiten. Sein Lied hallte schauerlich durch den unschuldigen Morgen. Immerhin, fand Mythor, wurden sie abgelenkt. Er konnte nur hoffen, dass Hark und Horus seine Zeichen verstanden hatten; sie sollten auf ihn warten und bis zu seiner Rückkehr Vercin gehorchen.
    »Die Geißel schindet unsre Rücken...«, sang Lamir weit vor ihnen. Von den Gewändern und den Körpern der Bußpilger ging ein stechender Geruch aus. Falls sie angehalten wurden, mussten sich die Kundschafter unter die Pestkranken mischen, denn man würde sie schon allein am fehlenden Gestank erkennen. »... das Leid bereitet uns Entzücken.«
    »Dieser Pestbarde!« knirschte Buruna empört. »Ich werde Alpträume bekommen.«
    Gapolo murmelte einen unverständlichen, aber langen salamitischen Fluch und meinte dann: »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Lachen, vor Wut in den Schwertgriff beißen oder nach vorn rennen und Lamir so lange treten, bis sein furchtbares Instrument in Trümmer geht?«
    Mythor lachte laut auf. »Nimm's nicht allzu schwer, Gapolo. Wer immer diesen Gesang hört, wird davon Abstand nehmen, uns anzugreifen.«
    »Auch wieder wahr!« knurrte ze Chianez und schwieg die nächsten Stunden.
    Anid Levere schien Richtung und Wege genau zu kennen, denn relativ geradlinig näherten sie sich der Yarl-Linie, ohne jemanden zu sehen.
    »Siechtum und Fieber, nichts ist uns lieber.«, hallten abgehackt die Zeilen des ungewöhnlichen Gesanges über die leeren Äcker und die verwaisten Weiden.
    Inzwischen hatten sich die Pilger gefasst und sangen mit, ohne zu wissen, wie die nächsten Worte lauteten. Es herrschte Verwirrung, aber ununterbrochen schlugen die Geißeln und Knotenschnüre einen falschen Takt. Summend, knurrend und stöhnend begleiteten die Bußgänger Lamirs Gesang auf ihre Weise. Die Prozession der Narren, Todmüden, Hungrigen und abenteuerlich gewandeten Kundschafter kam gut voran. Das Land war wie ausgestorben. Der erste Bauernhof tauchte links auf, zwischen zwei Hügel geduckt.
    ». .. und hoffnungslos setzt Schritt um Schritt und Hieb um Schlag.«
    »Eines Tages, und dieser schreckliche Tag«, versicherte Gapolo grimmig, »ist nicht fern, werde ich Lamir für diesen Gesang die Zunge abschneiden. Oder ihn erwürgen. Warum hat er sich nicht in Lorana vergafft und ist in der Mühle geblieben?«
    »Valida hat ihm die Liebe ausgetrieben!« sagte Buruna kichernd.
    »Habt ihr gesehen«, fragte Mythor plötzlich, »dass es unter den Figuren, Zahnrädern und Stangen schwere Steine und Kegel gibt, in denen tatsächlich Korn gemahlen werden kann?
    Oder etwas anderes?«
    »Ich habe die runden Mühlsteine gesehen. Ich hielt sie für Ballast für das Mühlenarche-Schiff!« sagte Gapolo voller Spott.
    »Denkbar«, murmelte Mythor. »Aber ich bin sicher, dass Vercin auch Korn von den Bauern bekommt und zu Mehl vermahlt.«
    »Meinetwegen.«
    Wieder erschallten Wortfetzen einer neuen Zeile Lamirs, dessen Kehle mehr die eines Ochsenfrosches denn die einer Lerche war:
    »... Pestilenz packt unser Leben, die bald'ge Heilung wir erstreben.«
    Mythor und Gapolo sahen sich an und hoben die Schultern. Gegen Lamir waren sie machtlos. So zynisch dies auch klang, aber angesichts der leeren, ausgestorbenen Landschaft war die unfreiwillige Komik des Gesanges ein willkommenes Mittel der Ablenkung.
    Stunden um Stunden vergingen. Die Sonne kletterte höher. Der warme, triefendfeuchte Wind aus dem Süden hielt an und erzeugte hinter den Schläfen stechenden Schmerz. Für die herrschende Jahreszeit war es ungewöhnlich mild. Ein Scheinfrühling ließ erste Blüten aus dem welken Gras sprießen.
    Mythor ignorierte hartnäckig den Gesang oder besser das ächzende Stöhnen der Geißler und die nur selten melodiösen musikalischen Untermalungen, die Lamir von der Lerchenkehle verursachte. Das Land, durch das sich der Geißlerzug bewegte, war Mythor einigermaßen
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