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Die Kundschafter

Die Kundschafter

Titel: Die Kundschafter
Autoren: Hans Kneifel
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Schaden genommen. Jene krankhafte Inbrunst, die Besessenheit und die Ausweglosigkeit ihres blinden und falschen Glaubens, die Caer würden ihnen helfen - das umgab die pilgernden Geißler wie eine abstoßende Aura. Davor flüchteten die Wesen des Waldes instinktiv.
    Mythor hätte nicht erwartet, dass Vercin so sehr um seine Tiere besorgt war; er schleppte einige Brote mit sich. Lorana hielt zwei Krüge an den Henkeln. Auch Gapolo und Buruna trugen Bratenstücke und Würste. Sie liefen auf Mythor zu, der mit gezogenem Schwert das Land um die Mühle verteidigte, als stünde er in einem Burgtor. Die Pilger stapften durch das Wasser und schienen nicht einmal zu merken, wie kalt es war: Einige schöpften Wasser mit den hohlen Händen hoch, wuschen sich flüchtig die Lippen und die Gesichter und tranken Bachwasser. Jeder Blick zeigte Mythor mehr und mehr den fast hoffnungslosen Zustand der Bußgänger.
    »Schauerlich!« brummte Gapolo, als er neben Mythor stehenblieb. »Zu allen Verrücktheiten, zu allem Elend, das über das Land kam, auch noch diese Gestalten! Sie sind alle auf besondere Weise krank!«
    Mythor antwortete so leise, dass es außer Gapolo niemand hören konnte: »Aber in ihrem Schutz könnten wir ungesehen die Yarl-Linie überqueren. Vielleicht gefällt dir mein Plan?«
    »Darüber denke ich erst nach, wenn das Chaos vorbei ist. Sogar die Fische im Wasser verhalten sich wie verrückt!«
    Die Abendsonne überschüttete das Land mit ihrem blutroten, staubigen Licht. Die Bäume warfen lange Schatten. Anid Levere blieb stehen, bevor er aus dem Wasser ans Ufer watete. Er blickte die Gruppe um Vercin und Mythor lange an, dann wusch er sein verunstaltetes Gesicht. Die Bewegungen wirkten wie eine rituelle Handlung.
    Danach kam er langsam auf die Wartenden zu. Seine Augen leuchteten förmlich auf, als er Brote, Fleisch und Krüge erblickte. Auch in die schleppenden Schritte seiner Geißler und Büßer strömte neue Kraft.
    Mythor deutete auf einige Baumstämme, die kreuz und quer in einer Senke neben dem Ufer lagen. »Dort, meine armen Freunde, sollt ihr euer Lager aufschlagen. Wie viele Männer sind unterwegs gestorben?«
    Mit sichtlicher Vorsicht und immer bemüht, nicht in die Nähe eines Pestkranken zu kommen, stellten Buruna und Lorana das Essen ab. Wortlos stürzten sich die Geißler darauf.
    »Niemand ist gestorben!« sagte Anid stöhnend und riss einen Brocken aus einem Brot. Gierig kaute er darauf. »Niemand.«
    »Dann ist euer Fieber nicht tödlich!« sagte Vercin.
    »Hoffentlich«, meinte ein offensichtlich jüngerer Mann, dessen Haut unter der Einwirkung des Wassers unnatürlich weiß wirkte. Die Bartstoppeln und die zahlreichen Geschwüre ergaben ein unbeschreibliches Bild. Lorana wandte sich ab und klammerte sich an Burunas Schulter. »Aber wir glauben es nicht. Das gelbe Fieber ist in uns. Die Pest wird uns umbringen.«
    »Geht und seht nach, ob die Tiere noch unruhig sind«, wandte sich Mythor an Lorana und Vercin. »Die Geißler werden nicht näher herankommen. Nicht wahr, Anid?«
    Lamir kam Vercin und Lorana entgegen und brachte sie zurück zur Mühle.
    »Hör zu, Anid«, sagte Mythor plötzlich. »Hör gut zu! Wir werden mit euch gehen. Wir kundschaften für die Lichtwelt aus, wie es am Hochmoor und jenseits der Yarl-Linie aussieht. Ihr werdet gemieden wegen eurer Krankheit. Ihr könnt euch, wenn auch langsamer, ungehinderter bewegen als vier Reiter. Wir gehen mit euch, aber wir werden uns nicht geißeln.«
    Anid hörte zu kauen auf und starrte Mythor verblüfft an. Dann nickte er schweigend. Endlich sprach er: »Du hast uns zweimal gerettet. Vor den Flammen und vor dem Verhungern. Wie könnte ich dir einen Wunsch abschlagen?«
    »Richtig. Wie könntest du?« brummte Gapolo. Er konnte sich mit Mythors Einfall noch nicht anfreunden. »Hast du schon einmal daran gedacht, dass die gelbe Pest so tödlich nicht sein kann? Ich weiß, dass die Pest die Menschen binnen eines Viertelmondes tötet, und zwar unter solch grässlichen Qualen, dass sie schwerlich noch Tagesmärsche weit gehen, singen und sich halb bewusstlos geißeln können! Ihr seid meiner Meinung nach vom Schrecken verrückt gemacht worden. Also, wir gehen mit euch, morgen beim ersten Licht, bis zu den Caer. Aber.« Er machte eine Pause und fuhr in schneidender Schärfe fort: »Keiner von euch berührt einen von uns!«
    Anid schlang die Hälfte einer Wurst in sich hinein und versprach schwer verständlich: »Wir tun, was ihr wollt. Wir
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