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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium
Autoren: Liao Yiwu
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gegenüberstanden, schafften Wasser und etwas zu essen ran und die Leute mit ihren blutigen Kopfverletzungen ins Krankenhaus.
    Sie erkannten mich, der Dicke riss mir mit einem Ruck die Perücke vom Kopf und meinte: Guck mal, unser Konterrevolutionär hat sich verkleidet! Der Dünne schrie: Bringt dem Konterrevolutionär ein Mädchen!
    Ich war vor Schreck schweißgebadet. Die beiden brachen in schallendes Gelächter aus und zerrten mich in einen Nebenraum, sie wollten mit mir anstoßen.
    Eine Gruppe von Prostituierten umrundete uns und fing an, Karaoke zu singen. Der Dicke fasste sie um die Hüften und gab jeder ein Trinkgeld von 100 Yuan; es war, als verteile er Bonbons.
    Der Dünne fragte, ob ich noch Gedichte schreibe.
    Ich sagte, ich kann nicht schreiben.
    Der Dünne sagte: Wenn du noch schreibst, dann such dir einen anderen Stil und andere Themen, schreib was über Nachtclubs, Hymnen auf das Nachtleben von Chengdu, Hymnen auf die schönen Frauen von Chengdu und seine scharfen Fondues, das können wir in unsere Zeitschrift bringen, unter anderem Namen natürlich, in der Beilage, die deine Alte macht.
    Ich sagte blöde: Früher ward ihr arme Lyriker, da konntet ihr euch nicht einmal einen etwas besseren Fusel leisten, wie seid ihr so schnell zu Geld gekommen? So ein aufwendiges Lokal kostet doch sicher ein paar Hunderttausend Miete im Jahr.
    Der Dicke sagte: Kredit, Kredit und Verschwendung, ich kenne einen bei der Bank, und wenn es hart auf hart kommt, dann akzeptieren sie das Haus und die Einrichtung als Sicherheit. Nur die Miezen, auf die kann man leider keine Hypothek aufnehmen.
    Der Dünne sagte: Seit der Reise von Deng Xiaoping in den Süden, du weißt schon, wo er die Reformen verkündet hat und dass ihm die Farbe der Katze egal ist, solange sie Mäuse fängt, seit dieser Reise ist Armut nicht mehr sozialistisch. Eine Demokratiebewegung ist schwierig, Geld machen nicht.
     
    In dieser Nacht bin ich mit meiner früheren Frau nach Hause gegangen. Unwillkürlich stöhnte ich auf bei dem Gedanken, wie schnell meine Mitbürger ihre Fähnchen in den Wind gehängt hatten. Was da mit dem Dicken und dem Dünnen über den 4 . Juni hinweg vor sich gegangen war, war wie eine Kehrtwende um 180  Grad. Meine damalige Frau sagte: Du bist wohl neidisch? Wenn du ein Kerl bist, dann kämpfst du und tust es ihnen gleich.
    Mir verschlug es die Sprache, ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Es war mitten im Winter, ich hatte Angst, meine Frau zu stören, also saß ich gelangweilt auf dem Balkon herum, eine ganze Ewigkeit, dann nahm ich meine Flöte und begann zu spielen. Ich war innerlich zu erschöpft, um einen Ton aus dem Bambusrohr herauszuholen. Ich erkältete mich. Am nächsten Tag schrieb ich unter heftigem Husten an meine langjährige alte Freundin Liu Xia, die Frau des berühmten politischen Gefangenen Liu Xiaobo, einen Brief. Ich schrieb:
    »Das Elend nimmt kein Ende. Die Frau, die Du kennst, war immer schon eine, die im wirklichen Leben alles ans Überleben setzt, dann noch die Sorge um unsere Tochter und dann noch etwas, worüber man zwischen Freunden nicht sprechen kann. Sie sagt, sie sei nun über 30 und habe noch immer kein sicheres Nest, sie sagt, ich müsse Geld verdienen und für meine Tochter aufkommen. Sie verachtet unsere Vergangenheit, das braucht Mut, am meisten hasst sie es, wenn ich Flöte spiele, also lasse ich es. In meinem tiefsten Inneren liebe ich sie noch immer, aber ich kann sie nicht auf die Weise lieben, die sie von mir verlangt […]
    Wenn ich allein bin, sitze ich oft da, und dann stelle ich mir Fragen und gebe mir Antworten, es sind zwei oder drei Stimmen, die da sprechen: Guten Tag! Von wegen gut! Was soll das! Scheiße! Mist! Du Vieh! Ich bin der Mann! Ihr Papa! Der Nachtclub! Geld, das Geld ist dein Schicksal! Ich will mein Schicksal ändern, will eine Revolution! […]
    Meine Flöte ist ganz sanft, nur tief in der Nacht ist sie wie eine dünne Klinge. Liu Xia, meine Freundin, werde ich eines Tages nicht mehr spielen können? Ich mache mir wirklich Sorgen, dass ich eines Tages nicht mehr spielen kann.«
    Der Brief trägt das Datum des 26 . März 1994 . Danach habe ich mit meiner Frau nicht mehr zusammengewohnt. Ich bin an das andere Ende der Stadt gezogen, zu meinen Eltern. Es war, als sei ich wieder ein Kind, um dessen Essen und Wohnen sich die Großen kümmern. Ich hatte oft nur ein bisschen Kleingeld in der Tasche, ich habe nicht einmal den Mut aufgebracht, vor die Tür zu gehen.
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