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Die kritische Dosis

Die kritische Dosis

Titel: Die kritische Dosis
Autoren: A. A. Fair
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frontal mit einem anderen Wagen zusammen. Zwei Menschen kommen ums Leben, die übrigen Insassen — alles Kinder — werden quer über die Fahrbahn verstreut wie Konfetti. Ein anonymer Lokalredakteur greift sich die Meldungen, gibt ihnen eine gemeinsame Überschrift und erledigt das traurige Kapitel in drei oder vier kurzen Absätzen.
    Die Unfallmeldung, nach der ich suchte, war in einer fünf Tage alten Zeitung vergraben. Eine gewisse Mrs. Harvey W. Chester war auf einem Fußgängerüberweg überfahren worden. Der Fahrer des Wagens war geflüchtet.
    Die Polizei hatte festgestellt, daß aus Mrs. Chesters Rock am Saum ein Stück Stoff fehlte, und glaubte daher, daß die Identifizierung des Wagens und die Ergreifung des Fahrers nur noch eine Frage der Zeit sei, zumal sie noch einen weiteren Fingerzeig hatte, über den jedoch zu diesem Zeitpunkt noch Stillschweigen bewahrt wurde.
    Mrs. Harvey W. Chester war achtundvierzig Jahre alt und wohnte in der Doorman Avenue 2 3 67-A. Ihre Verletzungen wurden als ernst bezeichnet.
    Der Artikel berichtete dann weiter über einen gestohlenen Wagen, der einen Frontalzusammenstoß verursacht hatte und nach einer Verfolgungsjagd mit Spitzengeschwindigkeiten von 160 km endlich gestellt werden konnte.
    Der Fahrer war seelenruhig ausgestiegen und hatte der Polizei lächelnd mitgeteilt, daß sie ihm buchstäblich nicht an den Wagen fahren konnte, weil er noch unter das Jugendgesetz fiel.
    Unfälle, bei denen nur schrottreife Autos und leichtere Verletzungen anfallen, sind für bessere Tageszeitungen überhaupt nicht mehr berichtenswert.
    Das Großstadtleben hat entschieden auch seine Schattenseiten.
    Ich erstand am Kiosk einen Stapel Zeitschriften, klemmte sie mir unter den Arm, griff mir unsere Firmenkutsche und fuhr zur Doorman Avenue.
    Ich parkte zwei Querstraßen von Mrs. Chesters Haus entfernt, klingelte an drei Haustüren und pries den Frauen, die aufmachten, mein Zeitschriftenabonnement an.
    In allen drei Fällen war die Aufnahme alles andere als herzlich.
    Nach dieser Vorarbeit wanderte ich zu Nummer 23 67.
    Es war eins der wenigen großen Grundstücke, aus einer vergangenen Epoche der Städteplanung übriggeblieben. Das Vorderhaus war ein großer altmodischer Kasten, mit enormer Platzverschwendung gebaut. Ein breiter zementierter Durchgang führte zu 2367-A, einem spielzeugschachtelgroßen Bungalow auf dem Hof.
    Ich erklomm die zwei Stufen zur Haustür und klingelte.
    »Wer ist da?« rief eine Frauenstimme ziemlich kläglich.
    »Ich bringe Ihnen etwas Schönes!« rief ich zurück.
    »Kommen Sie herein«, sagte die klägliche Stimme. »Die Tür müssen Sie schon selber aufmachen.«
    Ich gehorchte und trat ein.
    Eine ziemlich dünne Frau mit hohen Backenknochen und müden Augen saß in einem Rollstuhl. Ihr rechtes Fußgelenk und ihr rechter Unterarm waren dick verbunden. Über ihrem Schoß und dem linken Bein lag eine Decke.
    »Guten Tag«, sagte sie.
    »Guten Tag. Nanu — haben Sie einen Unfall gehabt?«
    »Fahrerflucht«, bestätigte sie trübe.
    »Das tut mir aber leid«, erklärte ich und breitete meine Zeitschriften aus.
    »Was wollen Sie, junger Mann? Ich hatte eigentlich einen anderen Besuch erwartet.«
    »Wen denn?«
    »Das spielt ja keine Rolle.«
    »Ich verkaufe Zeitschriften, oder vielmehr Zeitschriftenabonnements.«
    »Ich habe kein Interesse.«
    »Entschuldigen Sie, aber gerade für Sie würde es sich lohnen. Es muß doch recht langweilig sein, den ganzen Tag nur so herumzusitzen.«
    »Ich habe mein Radio.«
    »Sind die abgedroschenen Witzchen der Diskjockeys und die ewigen Werbesendungen auf die Dauer nicht etwas eintönig?«
    »Doch, aber...«
    »Da ist so eine Zeitschrift doch einmal eine nette Abwechslung.«
    »Was haben Sie denn für welche?«
    Ich reichte ihr sechs der Zeitschriften, die ich erstanden hatte. »Sie sind sehr vielseitig«, sagte ich, »und lehrreich. Daraus erfahren Sie alles über Haus und Garten, über die Welt draußen, über die politische Lage. Wer mit der modernen Entwicklung Schritt halten will, kann auf diese aktuellen Informationen nicht verzichten.«
    Sie reichte mir eine der Illustrierten. »Wovon handelt denn die hier?«
    »Das ist ein Blatt ganz speziell für die Frau von heute. Es enthält Tips für den Haushalt, Rezepte für proteinhaltige und kalorienarme Kost, Vorschläge, wie Sie Ihr Haus ganz nach Ihren besonderen Bedürfnissen einrichten, eine schöne Aussicht noch wirkungsvoller zur Geltung bringen können...«
    »Ja, schon —
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