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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin
Autoren: Pia Rosenberger
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    Der Himmel war so blau wie der Mantel der Madonna. Lena richtete sich auf und strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn. Kobalt, dachte sie, vielleicht Ultramarin. Sie stellte sich vor, wie das Licht durch die Scheiben leuchtete, die ihr Vater in diesen Farben färbte. Nur heute nicht. An St. Margareten, in der Mitte des siebten Monats, wurde im Weinberg gearbeitet. Der Boden musste gehackt und die Reben geschnitten werden, damit die Trauben reifen konnten. Bis das nicht geschehen war, standen die Arbeiten in den städtischen Werkstätten still.
    Ihr Vater, der Glasmaler Heinrich Luginsland, war dabei, alle überflüssigen Triebe und viele grüne Trauben wegzuschneiden, und zeigte sich dabei großzügig wie immer. Seiner Meinung nach war das die beste Voraussetzung für einen guten Tropfen. Der Geselle half ihm, während die Lehrbuben – nichtsnutzig, wie sie waren – sich lieber gegenseitig die unreifen Beeren in den Kragen steckten, als die abgeschnittenen Triebe vom Boden aufzusammeln. Noch nichtsnutziger war nur Lenas Bräutigam.
    Marx Anstetter, der Glasmaler aus Tübingen, der es nach ihrem Geschmack schon viel zu lange in Esslingen aushielt, hatte es sich am Feldrand bequem gemacht und rührte keinen Finger. Anders als Lena, die gemeinsam mit der Köchin Martha seit Sonnenaufgang Unkraut jätete und den Boden rund um die Weinstöcke hackte, hatte er es anscheidend nicht nötig, bei der Arbeit im Weinberg mit anzupacken. Fein säuberlich aufgeschichtet lagen die kleinen Haufen aus Löwenzahn, Quecken und Giersch zwischen den Reben. Der Boden unter dem Wein zerkrümelte zwischen Lenas Fingern und roch nach heißem Staub.
    Sie richtete sich auf, wischte sich die erdigen Hände an ihrer Schürze ab und stützte sich auf die Hacke. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es Anfang Juli jemals so heiß gewesen war. Hitze, die über den Weinbergen vibrierte wie ein lebendiges Wesen.
    Der Himmel lag so durchsichtig über den Hängen wie eine blaue Schüssel aus Glas, noch perfekter, als ihr Vater sie hätte blasen können. Darunter funkelte die Welt wie ein polierter Edelstein. Vom Fluss her wuchsen die Reben die Hänge hoch, hellgrün, golden und voller Verheißung. Sie hatten winzige, harte Beeren angesetzt, aus denen, wenn Gott Esslingen vor Hagelwetter schützte, ein weiterer guter Jahrgang werden würde.
    Im Tal schlug der Neckar einen weiten Bogen um die Stadt. Über ihn spannte sich die neue Steinbrücke, auf der reges Kommen und Gehen herrschte. Sogar von hier oben konnte Lena sehen, wie dicht der Verkehr stadteinwärts war. So viele Leute drängten in die Stadt, dass sich die bunten Handelskarawanen, die Bauern und die Söldner vor dem Brückenhaus stauten wie ein wimmelnder Ameisenhaufen. Sie ließ ihre Augen über das Häusergewirr mit seinen roten Dächern schweifen, aus dem die beiden Türme der Stadtkirche hervorstachen wie zwei Finger, und blieb schließlich an der Baustelle der Liebfrauenkapelle hängen. Der Chor, der sich seit fünf Jahren im Bau befand, sah aus wie das Skelett eines riesigen Tieres. Was Valentin wohl gerade machte? Lena strengte sich an, aber sie konnte den blonden Haarschopf ihres Freundes zwischen den grauen Mauern nicht erkennen. Wie auch, es war viel zu weit weg.
    Seufzend nahm sie die Hacke wieder auf und trieb das Blatt in den rissigen, ausgetrockneten Boden. Mit den Fingern lockerte sie geschickt eine Löwenzahnpflanze, löste sie mit der Wurzel heraus und warf sie auf den Haufen Unkraut neben sich. Dann richtete sie sich wieder auf und rieb sich mit der Hand über die verschwitzte Stirn. Eigentlich reichte es ihr. Sie wäre lieber allein in der Werkstatt gewesen und hätte an ihren Entwürfen für den Thron Salomonis weitergearbeitet. Da ist es wenigstens kühl, dachte sie sehnsüchtig.
    »Kannst du nicht mehr?«, fragte Martha.
    Lena lachte und deutete auf die Sonne, die vom Zenit des Himmels auf sie herunterbrannte. »Ich glaube, es ist Zeit zu rasten.«
    »Du hast recht, die Sonne steht schon hoch.«
    Sie legten ihre Hacken beiseite, kletterten den steilen Abhang bis zum Weg hinauf und packten ihre mitgebrachten Körbe aus: Brot, Fleisch, Wein und die leckeren Pasteten, die Martha mit Wildfleisch und Preiselbeeren zubereitet hatte. Lena hockte sich ins Gras auf ihre Fersen und füllte ihrem Vater den Becher. Heinrich Luginsland setzte sich neben sie an den Feldrain und trank ihn in einem Zug leer. Lena füllte ihn gleich wieder, gab aber acht, den Wein
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