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Die Kreuzweg-Legende

Die Kreuzweg-Legende

Titel: Die Kreuzweg-Legende
Autoren: Jason Dark
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nicht gegen ihn zu laufen. Er wehte gegen ihren Rücken und schob sie förmlich voran.
    Wanda lief durch den Garten.
    Die Zweige der Obstbäume peitschten gegen sie wie zu einem Leben erweckte Arme, die sie davor bewahren wollten, in ihr Verderben zu rennen. Wanda ließ sich nicht aufhalten. Sie machte weiter, folgte dem Wind und der Stimme, die sie immer deutlicher hörte. Kein Zaun konnte sie aufhalten. Sie huschte auch an einem Verschlag vorbei, der zum Teil zusammengekracht war und wo der Wind dabei war, das Dach abzuheben.
    Auch den Nachbargarten ließ sie schnell hinter sich. Dort erreichte sie auch das Ende der Dorfstraße. Staub hüllte sie ein, so daß Wanda wirkte wie ein unheimlicher Schatten, den der Wind vor sich her in die Nacht hineintrieb.
    Es war wunderbar. Sie hatte stets die Vögel bewundert, wenn sie sich in die Luft erhoben, um zu fliegen. Wie ein Vogel fühlte sie sich ebenfalls. Sie hätte jubeln können und spürte auch den Staub nicht, dessen Körner gegen Haut und Kleidung hieben.
    Frei sein.
    Frei für ihn…
    Sein Ruf war stärker geworden. Er lockte sie mit süßen Klängen. Seine Stimme klang so herrlich, so verführend, und sie würde sich ihm gern hingeben.
    Längst hatte der Wind ihren Schweiß getrocknet. Auf ihrem lächelnden Gesicht lag eine Staubschicht, und sie wußte genau, daß sie nicht mehr weit zu laufen hatte.
    Er würde auf sie warten.
    Am Kreuzweg!
    Wieder erinnerte sie sich an die warnenden Worte der Dorfbewohner. Der Kreuzweg war von alters her ein verfluchter Ort. Zudem stand dort eine alte Eiche mit starken Asten. Oft genug hatten früher die Gehängten im Wind geschaukelt, und auch der unheimliche Reiter erschien immer dort, wo zwei Wege aufeinanderstießen.
    Sie lief durch die Dunkelheit. Manchmal schaute sie zum Himmel und sah dem beeindruckenden Spiel der Wolken zu, mit denen der Sturm machen konnte, was er wollte.
    Genau wie der Reiter mit ihr.
    Wanda fieberte dem Ziel entgegen. So weit wie möglich hatte sie ihre Augen geöffnet, damit sie den Kreuzweg und den knorrigen alten Eichenbaum auch früh genug entdeckte.
    Noch mußte sie laufen. Der in ihren Rücken wehende Wind trieb sie schneller voran. Hecktisch bewegte sie die Beine. Längst hatte sie die Holzpantinen fortgeschleudert und lief barfuß weiter. Dann sah sie den Baum!
    Er erschien aus der Dunkelheit wie ein Bild, vor dem jemand langsam einen Vorhang wegzieht. Groß, wuchtig und gewaltig stand er da. Hatte sein Astwerk ausgebreitet, das unten breiter auslief und in der Krone gewissermaßen zusammenwuchs, so daß es dort einen undurchdringlichen Wirrwarr bildete. Der Sturm schüttelte nur die kleineren Äste und wirbelte die Blätter durcheinander, so daß die Eiche aussah wie ein sich bewegendes Kuppeldach. In der unteren Hälfte war sie kahl. Dort wuchs kein Blatt. Nur die dicken, knorrigen Arme ragten in alle vier Richtungen, so daß sie jeweils die Wege an ihrer Einmündung überdeckten.
    Dick war auch der Stamm. Eine Kutsche hätte hindurchfahren können. Dieser Baum sollte schon seit Ewigkeiten stehen. Er hatte Schlimmes gesehen, denn er war zu einer blutigen Richtstätte geworden für Mörder, Töter und Schänder.
    Und er war Treffpunkt des unheimlichen Reiters. Wanda verhielt ihren Schritt. Sie schaute auf den Baum, lauschte der inneren Stimme und erwartete den Lockruf des Reiters. Diesmal blieb er aus. Auch an das süße Gefühl der Liebe dachte sie nicht mehr. Es war auch nicht nötig, sie hatte ihr Ziel erreicht.
    Sehr langsam ging sie auf den Baum zu. Der Wind orgelte nicht mehr so stark. Die langen Staubfahnen trieben zwar noch immer über die Wege und Felder, doch sie sanken mehr und mehr in sich zusammen, so daß sie sich wieder auf dem Grund verteilten.
    Der Sturm hatte auch die Wolkendecke aufgerissen. Ein blanker Himmel spannte sich unendlich weit über dem Kopf des einsam durch die Nacht gehenden Mädchens.
    Und ein Himmel voller Sterne.
    Sie blinkten aus einer unfaßbaren Ferne hernieder. Jemand hatte Wanda erzählt, daß überall dort, wo die Sterne leuchteten, der Himmel aufgerissen war, damit die Engel durch die Löcher auf die Erde schauen konnten.
    Ein besonders großes fiel ihr auf. Es war der Mond. Voll und rund stand er über dem Land. Ein großes »Loch« im Himmel, das sich veränderte und sowohl kleiner als auch größer wurde, wie Wanda wußte. Vielleicht schaute aus ihm der Herrgott auf die Erde nieder.
    Als sie daran dachte, wurde ihr noch wärmer. Sie verhielt ihren
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